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Spur ins Nichts - Ein Jack-Irish-Roman

Spur ins Nichts - Ein Jack-Irish-Roman

Titel: Spur ins Nichts - Ein Jack-Irish-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Temple
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nicht extra rausgehen. Kannst direkt hier einen Mann vor einem grausamen Justizirrtum retten«, sagte Stan. »Du bist der Anwalt des alten Mannes, überred ihn, dieses Loch hier zu verkaufen, und bewahr mich davor, mein ganzes Leben damit zu verschwenden, die alten Säcke hier über tote Footballspieler labern zu hören.«
    Stans Vater Morris gehörte der Pub, und mit 87 Jahren zeigte er noch keinerlei Interesse daran, zu verkaufen.
    »Finde einen passenden Käufer, und ich denke drüber nach«, sagte ich und bestellte eine Runde.
    Stan stand noch am Hahn und zapfte das Bier ohne hinzusehen, als er laut sagte: »Wo wir gerade von toten Footballspielern reden, heute Morgen hatte ich einen Kerl hier, der wollte die Bilder kaufen.«
    Alle Gespräche verstummten.
    »Die Bilder?«, sagte Wilbur Ong. »Welche Bilder?«
    Stan wies mit seinem fleischigen Handrücken auf die Wände rundherum. »Die Fotos. Den ganzen Kram.«
    »Kerl«, sagte Norm O'Neill mit kalter Stimme. »Was für ein Kerl?«
    Stan stellte sein Glas ab, zog sich die Hose hoch, über seinen Wanst. »Ein sehr netter Kerl. Gut angezogen. Jackett und graue Flanellhosen.«
    »Was für ein Kerl?«, fragte Norm jetzt mit eisiger Stimme.
    Stan zapfte konzentriert das letzte Bier, hielt es hoch und inspizierte die Blume. »Ein Kerl von den Brisbane Lions«, erklärte er. »Meint, die Fotos wären in diesem Lions-Clubhaus, das sie da in Brisbane haben, besser aufgehoben. Ein großes, luxuriöses Clubhaus. Teppiche. Haben sogar eine Lions Wall of Fame da. Im Bistro.«
    »Im was?«, fragte Eric Tanner.
    Stan schüttelte traurig den Kopf. »Ein italienischer Begriff, den wir im Gaststättengewerbe benutzen, Eric.«
    In dem darauffolgenden Schweigen hörte man den Verkehr von der Smith Street her, hörte zwei Frauen, die draußen vorbeigingen und redeten.
    Ich blickte auf die Wände des Pubs. Die wenigen freien Flächen zwischen den Fotos hatten in hundert Jahren Tabakrauch den fleckigen Farbton schwarzen Tees angenommen. Die Fotografien erinnerten an Mannschaften und Spieler des Fitzroy Football Club und reichten zurück bis zur Jahrhundertwende. Auf meinem Weg zur Toilette, deren Tür mit GENTS überschrieben war, blieb ich oft stehen, um meinen Vater zu betrachten, den großen dunklen Bill Irish, der in den späten vierziger Jahren zur Mannschaft gehört hatte. Mein Großvater fand sich auch an der Wand. Er hatte drei Saisons in der Senior-League gespielt, bevor er sich beim Spiel gegen Collingwood einen doppelten Armbruch zuzog. Die verblichenen Fotos seiner Mannschaft hingen in der Nähe der Dartscheibe.
    »Lions Wall of Fame«, sagte Eric Tanner mit schräg gelegtem Kopf und zusammengekniffenen Augen. »Was für Lions sollen das denn sein?«
    »So wie er das erklärt hat«, erklärte Stan, »ist der Fitzroy Football Club jetzt in Brisbane, und die Fotos sollten auch da sein.«
    Das Schweigen war jetzt abgrundtief.
    Norm O'Neills Nase schien länger und länger zu werden, war nun weit mehr als ein hervorstechendes Detail einer Gesichtslandschaft, wurde zur Landschaft an sich, eine Nase und Brillengläser mit einem angehängten Gesicht. Er räusperte sich.
    »Stanley«, sagte er, »Stanley, du hast da was übersehen.«
    Er sprach leise und deutlich, beugte sich vor, die Fingerknöchel auf den Tresen gestützt. »Der Fitzroy Football Club ist nicht in Brisbane, Stanley. Der Fitzroy Football Club kann niemals in Brisbane sein. Niemand kann die Lions nach Brisbane verlagern. Und warum, Stanley? Weil der Fitzroy Football Club nur in Fitzroy sein kann.«
    Norm legte eine effektvolle Pause ein und schaute sich im Raum um. Dann sagte er: »Na ja, die aus Brisbane können ja gern einen Löwen auf ihre Pullis drucken, aber das heißt noch lange nicht, dass die Lions jetzt in diesem tropischen Loch sind. Die Lions sind hier, hier in diesem verdammten Pub. Und es ist nicht an dir, sie zu verkaufen. Das begreifst du doch, oder?«
    Schweigen, alle Augen auf Stan.
    Stan nahm ein Bierglas, hielt es ins Licht. »Das mag sein«, sagte er. »Der hat einen ziemlich guten Preis geboten. Hätte nie gedacht, dass die alten Fotos überhaupt irgendwas wert sind.«
    »Hast du mit Morris darüber geredet«, fragte Wilbur.
    »Brauch mit niemandem drüber zu reden«, sagte Stan. »Ich bin der Geschäftsführer hier. Er sitzt in Queensland in der Sonne, mit all den anderen alten Säcken, die ein bisschen Hirn haben. In diesem Pub entscheide ich, was passiert.«
    »Ich kann mich noch dran

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