Spur nach Ostfriesland
nicht …«, sie stockte, »ich wollte vielleicht – ich möchte, dass Sie – Gott, ich kann das nicht!«
»Doch, können Sie.« Hartmann nickte ihr aufmunternd zu. »Im Grunde haben Sie längst angefangen.«
Sie schaute auf den Tisch hinunter und senkte ihre Stimme zu kaum mehr als einem Flüstern. »Es ist eigentlich nur so ein Gefühl. Und das wird stärker jetzt, wo Sie all diese Fragen zu meinem Unfall gestellt haben. Aber es führt nirgendwo hin, nicht so richtig jedenfalls. Ich bin abhängig vom Wohlwollen meines Mannes. Nicht nur in finanzieller Hinsicht. Er schafft es, mich kleinzuhalten, immer schon, mit nur einer Bemerkung kann er erreichen, dass man sich total blöde vorkommt. Das trifft es nicht mal richtig. Unverschämt blöd, wissen Sie, was ich meine?«
Sie blickte gar nicht auf, um zu sehen, ob er ihr folgen konnte. »Die meiste Zeit störe ich mich nicht daran, es ist irgendwie nicht so wichtig, zumindest solange er die Kinder nicht abkanzelt. Aber wenn er weg ist, wird es plötzlich viel wichtiger, viel realer und größer. Dann ertappe mich manchmal dabei, wie ich denke, ich sollte abhauen. Aber ich bin zu schwach, das ist auch keine Schande.« Ein winziges Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht. »Sagt jedenfalls mein Therapeut, und bevor ich den Gedanken in die Tat umsetzen kann, ist Martin auch schon wieder da.«
Bis jetzt wäre der Therapeut durchaus der angemessenere Gesprächspartner gewesen, dachte Hartmann. Er hatte keinen Bock auf Eheprobleme, wenn das denn alles war, worauf sie hinauswollte. »Haben Sie mit ihrem Therapeuten über ihren Verdacht gesprochen?«
»Nein, ich war seither noch nicht wieder bei ihm. Außerdem würde Doktor Lindenau die Ursache für mein Misstrauen in mir suchen und nicht in dem, was Martin getan oder nicht getan hat. Ich glaube, ich wollte mit dem Buch bloß erreichen, dass Sie genauer hinschauen. Ich dachte mir ja, dass Sie davon erfahren würden, wo doch das Mädchen in der Buchhandlung gearbeitet hat. Ich weiß natürlich nicht, ob Martin etwas mit ihrem Verschwinden zu tun hat, aber zutrauen würde ich’s ihm schon.« Sie schien vor der eigenen Courage zu erschrecken und schlug sich die Hand vor den Mund. »Das müssen Sie ihm aber nicht sagen, oder?«
»Nein, keine Bange«, versicherte er. »Aber wie kommen Sie darauf? Haben Sie irgendeinen Hinweis entdeckt, der ihn belasten würde?«
Statt einer Antwort malte sie mit dem Finger unsichtbare Kringel auf die Tischdecke.
»Wenn er der Täter ist«, fragte er weiter, »warum würde er so etwas tun?«
»Weil er es kann? Weil es eine Herausforderung ist? Weil er so von sich überzeugt ist, dass er glaubt, mit einfach allem durchzukommen.«
»Das reicht nicht. Ohne ein konkretes Indiz kann ich ihn nicht mal vernehmen, geschweige denn verhaften. Wir wissen, wann und wo das Opfer entführt worden ist, und Ihr Mann hat ein Alibi. Sagen Sie«, fügte er hinzu, »sind Sie oder Ihr Mann im Besitz weiterer Immobilien, abgesehen von diesem Haus?«
»Ich nicht. Mein Mann hat vor ein paar Jahren die Jagdhütte seines Vaters geerbt. Er wollte sie verkaufen, aber ich weiß nicht, ob er das auch gemacht hat.«
Hartmann horchte auf. Hütte klang gut. Jagdhütte klang nach Einsamkeit. »Und wo ist die Hütte?«, fragte er.
»Keine Ahnung, ich war nie dort.«
»Gibt es keine Unterlagen, anhand derer Sie das feststellen könnten?« Wenn er schon dafür eingespannt werden sollte, einen unliebsamen Ehemann hinter Gitter zu verfrachten, dann sollte sie wenigstens etwas beitragen.
»Ich nehme es an. Alles Wichtige befindet sich im Safe, aber ich kenne die Kombination nicht.«
Nicht zu fassen, dachte Hartmann, in dieser Ehe herrschten Gepflogenheiten aus dem vorletzten Jahrhundert. Und Constanze Gentner schien sich ihnen widerspruchslos zu fügen. Abgesehen von diesem Versuch, ihren Mann in Misskredit zu bringen. Er fragte sich, woher dieses Aufbegehren rührte.
»Wie hat Ihr Mann eigentlich darauf reagiert, dass Sie das Buch bestellt haben?«, erkundigte er sich.
»Er will nicht, dass ich es lese. Es würde mich zu sehr aufwühlen, sagt er. Und außerdem sei es weit unter meinem Niveau.« Sie seufzte.
Innerlich tat Hartmann es ihr gleich. Eingebungen einer frustrierten Ehefrau brachten ihn nicht weiter. Was er bisher erfahren hatte, zeigte nur, dass Gentner zu Hause dasselbe Arschloch war wie in freier Wildbahn. Den Unfall seiner Frau verursacht zu haben, würden sie ihm nicht mehr nachweisen können. Und ein
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