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Spur nach Ostfriesland

Spur nach Ostfriesland

Titel: Spur nach Ostfriesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sommer
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wollten?«
    Sie zögerte, trank einen Schluck Tee und stellte die Tasse ab. Wieder nahm sie den Löffel zur Hand und rührte heftig, verursachte diesmal eine mittlere Überschwemmung. Geschäftig sprang sie auf, holte einen Lappen und beseitigte den See. Den nassen Lappen warf sie über die Schulter zurück ins Becken. Sie traf sogar, was auf einiges an Übung schließen ließ. Er stellte sich drei kleine Kinder am Tisch vor, den Ärger des Vaters, wenn eines von ihnen ein Glas umstößt, die clowneske Einlage der Mutter, um seiner Schelte den Stachel zu nehmen.
    »Ich glaube nicht«, sagte sie, »dann hätte ich die Gläser ja sehen müssen?«
    Hurra, dachte er, und weiter.
    »Aber es war doch niemand im Haus«, ruinierte sie seine Schlussfolgerung, »es wird der Wind gewesen sein.«
    Na toll. »Wie lange waren Sie bewusstlos?«
    »Das weiß ich nicht. Ich habe am Vormittag die Wäsche gemacht, und Martin ist zum Mittagessen nach Hause gekommen. Ich habe ihn natürlich nicht rufen gehört, und der Tisch war noch nicht gedeckt, also hat er das Haus nach mir abgesucht. Im Keller war er zuletzt. Ich habe noch Glück gehabt, denn meistens isst er auswärts, und die Kinder hatten einen langen Schultag. Ich bin erst im Krankenhaus wieder zu mir gekommen. Abgesehen von dem Beinbruch hatte ich bloß eine schwere Gehirnerschütterung, und etliche blaue Flecken natürlich.«
    »Sie sagten, es war ein komplizierter Bruch.«
    »Ja, das hat sich ganz schön lange hingezogen. Ich war über zwei Monate weg.« Sie begann, alles, was auf dem Tisch stand, zu verschieben, und musterte danach die Wände, als plane sie die nächste Renovierung. Die absolut nicht vonnöten war.
    »Nur wegen des Beins? Krücken waren nicht möglich?« Hartmann ließ nicht locker, wollte jedoch nicht preisgeben, dass sie mit ihrem jüngsten Sohn gesprochen hatten.
    »Doch. Schon. Eigentlich.« Sie legte eine Hand an ihre Stirn, wie um zu prüfen, ob sie Fieber habe, zog sie blitzschnell weg und blickte ihm zum ersten Mal direkt in die Augen. »Ich bin verlegt worden. In die Psychiatrie. Wegen eines Selbstmordversuchs.«
    Er hatte das Gefühl, einer Prüfung unterzogen zu werden. »Das ist keine Schande, kommt in den besten Familien vor«, versuchte er, dem Gespräch eine leichtere Wendung zu geben.
    »Nur dass es zu dem Zeitpunkt nicht gerade zum Besten in dieser Familie stand«, wandte sie ein. »Ich wollte mich selbstständig machen, mein Mann war dagegen, meine Tochter auch, und wir haben kaum noch miteinander geredet. Als ich dann im Krankenhaus lag und Angst hatte, dass ich nie wieder laufen können würde, dass mein schöner Traum platzt, ist alles über mir zusammengebrochen. Obendrein hat Martin mir Vorwürfe gemacht, ich würde mein Wohl über das der Familie stellen wollen. Er hat die Kinder nicht mehr zu mir gebracht. Das war das Schlimmste. Ich wollte nicht mehr, wirklich, es ging nicht. Also habe ich die Schmerztabletten gehortet, und als ich dachte, ich hätte genügend zusammen, habe ich eines Abends diesen dummen Brief geschrieben und sie danach geschluckt. Na ja, es hat nicht gereicht, wie man sieht.«
    »Wie ist die Depression behandelt worden?«
    »Am Anfang nur mit Tabletten. Als es mir dann etwas besser ging, musste ich eine Gesprächstherapie machen.« Zerknirscht verzog sie die Mundwinkel. »Ehrlich gesagt kann ich mich kaum daran erinnern.«
    »Aber Sie waren die ganze Zeit über in derselben Klinik?«
    »Ich wüsste nicht, warum nicht.« Sie schaute ihn entgeistert an. »Ich hab mich das nie gefragt. Beschwören kann ich es natürlich nicht, ich war bewusstlos, als ich eingeliefert wurde und auch als ich verlegt worden bin. Ich habe es also einfach angenommen. Nach Hause gefahren sind wir jedenfalls aus Bad Homburg, das weiß ich genau, aber wie die Klinik überhaupt hieß – keine Ahnung. Ich habe nicht darauf geachtet.«
    So kam er nicht weiter. Das Gespräch bestätigte im Grunde nur, was sie längst wussten, Dinge, die bedeutsam, ebenso gut jedoch vollkommen belanglos sein konnten. Zeit, schärfere Geschütze aufzufahren. »Beschuldigen oder verdächtigen Sie Ihren Mann irgendeiner Straftat?«
    »Wegen des Buchs meinen Sie.« Sie legte den Kopf schief, schien angestrengt zu lauschen, ob sie wirklich allein waren. Wie aufs Stichwort bellte der Hund, und sie sprang sofort auf, doch er gab augenblicklich wieder Ruhe, und so ließ sie sich im Zeitlupentempo wieder auf den Stuhl sinken. »Ich weiß es nicht. Ich kann doch

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