Spur nach Ostfriesland
der inzwischen zu Hause war. Sollte man annehmen, es war gleich vier.
Das Wochenende war quälend langsam verstrichen. Nach Pauls Anruf am Samstagmittag hatte er für einen Moment gehofft, dass der Mordversuch an Inka Morgenroth, so tragisch das natürlich war, die Dinge beschleunigen würde. Vor allem, als er von der Täterbeschreibung einer Zeugin erfahren hatte. Aber sie hatten weder Gentner noch Petersen in all den zähen Stunden der Überwachung zu Gesicht bekommen. Sie wussten noch immer nicht, wo sie steckten. Wäre auch zu schön gewesen, wenn sie wenigstens einen von ihnen als Täter hätten ausschließen können. Vielleicht hatten sie ja Glück, dass nicht beide unverrückbare Alibis für die Tatzeit vorweisen konnten. Denn sonst würden ihre ohnehin spärlichen Ermittlungsergebnisse wie ein Kartenhaus einstürzen. Nur das nicht, beschwor er himmlische Mächte, an die er eigentlich nicht glaubte.
Befanden sie sich auf dem Holzweg? Gentner war so offensichtlich ein Arschloch, er hatte Kontakt zu den Frauen gehabt, sie schikaniert, im Falle Inkas sogar drangsaliert, wie Paul in Oldenburg ermittelt hatte. Er wollte, dass er sich als der Täter erwies, der Mann ging ihm gegen den Strich. Das war es nicht allein, gab er zu. Constanze Gentner weckte einen Beschützerinstinkt in ihm, dem er sich nicht so recht entziehen konnte. Er fragte sich, ob er manipuliert wurde.
Das Wort setzte sich in ihm fest. Manipulation. War das der Schlüssel zu den Entführungen? Es würde schon passen, überlegte er, sowohl Constanze als auch Petersen hatten Gentner als manipulativ geschildert. Claudia Schuchs Wesensveränderung und ihre Schilderung dessen, was ihr widerfahren war, ließen darauf schließen. Und Constanze selbst, so ihr Sohn, verhielt sich seit ihrem Unfall auch eher untypisch, jedenfalls die meiste Zeit. Alles Folgen einer Gehirnwäsche? An so etwas glaubte er in etwa so unerschütterlich wie an die Existenz himmlischer Mächte. Er seufzte.
Natürlich bestand auch die Möglichkeit, dass weder Gentner noch Petersen für den Anschlag auf Inka verantwortlich waren. Auf Inkas Freund traf die reichlich dürftige Beschreibung genauso zu, und Paul hielt dessen Alibi für fraglich. Also hatte er widerwillig Pauls Verlängerung seines Exils zugestimmt. Er sollte der Zahnarzthelferin auf den Zahn fühlen. Er lachte lautlos über seinen lahmen Witz. Und er sollte versuchen herauszubekommen, ob Genter oder Petersen da oben irgendwo in Erscheinung getreten waren. Hotels abklappern. So viele gab es dort ja wohl nicht.
Patrizia schien Pauls Abwesenheit jedenfalls nicht übermäßig zu stören. Sie hatte sich in diesen Fall verbissen, in Gentner vielmehr, und würde sich von nichts und niemandem ablenken lassen, um ihn zur Strecke zu bringen. Wie ein Terrier, dachte er gehässig. Er wusste nicht, was genau er ihr übel nahm. Vielleicht war es gerade ihre Entschlossenheit. Die ihm abging. Oder er fürchtete einfach, dass sie sich Constanze gegenüber nicht sonderlich feinfühlig verhalten würde. Was ihm nichts ausmachen sollte. Eigentlich. Er seufzte wiederum.
Er hatte den Abend bei ihr genossen wie schon lange keinen mehr. Sie hatten zusammen gekocht, als machten sie allabendlich nichts anderes, ein eingespieltes Team, mühelos Hand in Hand arbeitend, dabei locker plaudernd, ohne jede Verlegenheit, ohne unangenehme Pausen. Während des Essens waren sie schweigsamer gewesen, nicht minder einträchtig, und hatten sich danach weiterhin über Rezepte und Zutaten ausgetauscht. Ob er ihre Gewürzsammlung sehen wolle, hatte sie ihn gefragt und aufgelacht, verlegen, bis er in ihr Lachen einstimmte, die Briefmarkensammlung, klar. Er hatte gespielt gierig die Augen aufgerissen und sich verblüffen lassen von vielem, was er noch nie gehört, bis dahin nie gerochen hatte.
Sie war den ganzen Abend lang diese andere Persönlichkeit gewesen, die er bislang nur erahnt, sodann als Hirngespinst abgetan hatte und die nun unbestreitbar zutage getreten war. Etwas in ihm wollte, dass auf ihn zurückzuführen war, was wahrscheinlich allein daran lag, dass ihr Mann nicht zugegen war. Nur, wenn sie draußen ein Geräusch vernahm, erstarrte sie und lauschte, angespannt und stumm. Dann schob sich für einen Moment doch die graue Maus in den Vordergrund, bis sie sich in Sicherheit wähnte und den Faden wieder aufnahm, als hätte sie ihn nie verloren. Selbst Pawlow, die Bestie, war von der Atmosphäre besänftigt worden und hatte sich nach einigen
Weitere Kostenlose Bücher