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Spur nach Ostfriesland

Spur nach Ostfriesland

Titel: Spur nach Ostfriesland
Autoren: Beate Sommer
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wieder so untätig herum, sodass ihm gar nichts anderes übrig blieb, als zu grübeln, wenn er verhindern wollte, dass er einschlief. Er hatte aber keinen Bock auf Grübeln. Brachte sowieso selten etwas.
    Mittlerweile war es fast dunkel, die Straßenlaternen brannten und verbreiteten zweifelhafte Gemütlichkeit. Pendler kehrten nach und nach heim, Anzug- und Aktentaschenträger keuchten den Berg hoch, als gelte es, Rekorde zu brechen, und es herrschte auch relativ lebhafter Autoverkehr. Er begann zu frieren und scharrte mit den Füßen, stieß sich das Knie am Lenkrad und rieb sich die schmerzende Stelle, bevor er die Rückenlehne nach hinten verstellte und sich zurücklehnte. Er hatte keine Ahnung, wie die Gepflogenheiten hier in der Nachbarschaft waren, ob man bereits die Polizei rufen würde, weil in einem Wohngebiet jemand in seinem Wagen herumlungerte. Besser, ein wenig in Deckung zu gehen. Gefährlich allerdings für seine Aufmerksamkeit. Ihm drohten, die Augen zuzufallen, und er musste sich gewaltig am Riemen reißen, um nicht wegzudämmern.
    Hätte er Petersens Tod verhindern können, wenn er Hartmanns Instinkt getraut und ihn begleitet hätte?, überlegte er nun doch. Wahrscheinlich hätte er ebenso gehandelt, fürchtete er, war ja nicht das erste Mal, und nervös wäre auch er gewesen. Vielleicht nicht ganz so unter Druck wie Hartmann, der es auch nicht zu schaffen schien, sich von seiner aussichtslosen Liebe zu verabschieden. Obwohl, fiel ihm ein, vielleicht stimmte das längst nicht mehr, vielleicht hatte er wirklich ein Auge auf Gentners Frau geworfen.
    Constanze, Conny, versuchte er und vergaß fast, dass er nicht mehr hier sein würde, um Gebrauch von dem Namen zu machen. Sofern er die Stelle bekam. Es würde ihn jedenfalls mächtig freuen, wenn Hartmann endlich mal Glück mit einer Frau hätte, und, ehrlich gesagt, hätte er dann auch nicht so sehr das Gefühl, einen Freund im Stich zu lassen, zu desertieren. Er musste endlich mit Jens reden und konnte nur hoffen, dass Patrizia nichts von seinen Plänen verraten würde, bevor er selbst die Chance dazu bekam. Beziehungsweise den Mut dazu aufbrachte, gab er zu.
    Er stieß den Atem in einem langen Seufzer aus. Ganz leicht würde es nicht, alles hinter sich zu lassen. Doch es würde den Aufwand wert sein. Allein der Vogelzug, rief er sich in Erinnerung und merkte, dass er grinste, dümmlich grinste, mutmaßte er, grinste breiter. Die reine Vorfreude.
    ***
    Jens Hartmann zuckte zusammen und wachte auf. Ein schräger Traum lungerte ganz am Rande seines Bewusstseins, kaum noch greifbar und schon verflüchtigt. Konnte nicht so wichtig gewesen sein, wie er im Schlaf geglaubt hatte. Wahnsinnig viel Glauben maß er den Botschaften, die sein Gehirn ab und an losschickte, ohnehin nicht bei. Er war ein Mann der Tat, behauptete er gern, obgleich er zugeben musste, dass Träume, erst recht, wenn sie wahr wurden, das Leben durchaus beflügeln konnten. Wie dieser? Er grinste in die Dunkelheit.
    Immerhin lag er neben Marilene im Bett. Wenn das nicht die Erfüllung seiner Wünsche war. Gut, die Umstände könnten besser sein, anregender, die Kleiderfrage war zum Beispiel noch ungeklärt. Auch wäre es von Vorteil, wenn sie bei Bewusstsein wäre, sofern sie dann nicht die Fliege machen würde jedenfalls. Trotzdem, seine Lage war nicht wirklich schlecht, die Aussichten vielleicht sogar ein wenig besser. Er lauschte. Sie schlief, ihr Atem ging ruhig und gleichmäßig und nicht länger so besorgniserregend flach.
    Der Notarzt draußen bei der Jagdhütte vermutete den Einsatz von K.-o.-Tropfen und hatte sie ins Krankenhaus einweisen wollen. Seine Worte schienen zu ihr durchgedrungen zu sein, denn sie hatte sich gesträubt und in seinen Armen gewunden, dass sie ihm zu entgleiten drohte. »Gut«, hatte er gemurmelt, »alles ist gut, ich bring dich nach Hause«, bis sie sich wieder beruhigt hatte.
    Mit strikten Anweisungen, sie sofort einzuliefern, sollte es zu Atemstörungen oder Erbrechen kommen, hatte der Arzt nachgegeben, sich mit dem Hinweis auf das eigene Risiko abgesichert, dabei wie ein Wackeldackel bedenkenschwer den Kopf gewiegt. Er war schließlich weitergewankt, hatte seine Autoschlüssel auf den Fahrersitz seines Wagens geworfen und das letzte Auto in der einen Menschenauflauf nahelegenden Schlange konfisziert.
    Von der Fahrt hatte sie nichts mitbekommen. Ihr Kopf war mit jeder Unebenheit wild umhergeschlenkert, und er hatte an der Weisheit seines Entschlusses
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