Spur nach Ostfriesland
eifersüchtig, gestand er sich ein. Nicht auf die Kinder, das verbot sich von selbst, nein, aber die Leichtigkeit, mit der sie sich Fremden offenbarte, ihm gegenüber aber nicht, das fand er verletzend. Und er war sich ganz sicher, dass sie ihm nicht einmal alles über diesen »spontanen Abend« erzählt hatte. Entmutigend, das war es. Obendrein diese Geste zum Abschied, ihn auf den Arm zu boxen, als sei er der Kumpel zum Pferdestehlen. Er stahl keine Pferde, verdammt, und auf Kumpel hatte er schon gar keine Lust. Vielleicht nicht mal auf Freundschaft. Jedenfalls nicht, wenn sie mauerte, sich weniger als rar machte, wo er ihr doch, wie verlangt, Zeit gelassen hatte. Zeit genug, um über Felix, den Idioten, hinwegzukommen, Zeit genug, um zu verarbeiten, wie knapp sie mit dem Leben davongekommen war. Er hatte sie doch nie bedrängt. Vielleicht war genau das der Fehler. Er seufzte und merkte selbst, dass das arg nach Selbstmitleid klang.
Er warf einen Blick auf die Uhr, die an der Wand über der Kaffeemaschine hing – wieso hing das Ding jeden Morgen aufs Neue schief? Noch keine acht, er war viel zu früh dran, hatte mal wieder nicht schlafen können und war schon um fünf aufgestanden, um planlos in der Wohnung herumzupusseln, darauf bedacht, seinen Sohn Jan nicht vor der Zeit zu wecken. Jetzt saß er, seit Stunden, wie ihm schien, vor seinem Schreibtisch, die Hände flach auf der Tischplatte, als sei er im Begriff, draufzuschlagen oder sich hochzustemmen, jedenfalls irgendetwas Bedeutsames zu unternehmen. Wie zum Beispiel, die Uhr geradezurücken. Aber vielleicht hinge sie ja morgen gerade, weil es sich nur um eine Putzfrauen-Demonstration handelte, die andersherum ebenso funktionierte.
Er wartete. Auf Patrizia, dass sie einen ordentlichen Kaffee kochte. Auf Paul, damit sie endlich in die Gänge kommen könnten. Paul, der schon wieder die Nacht bei Patrizia verbracht hatte, wie es aussah, denn der nachbarliche Dämmerschoppen, den er und Paul eingeführt hatten, seit sie einander gegenüber wohnten, war, wie so oft in letzter Zeit, ausgefallen. Klar, er gönnte ihm das junge Glück, bestimmt, und die beiden verhielten sich ja auch überaus unauffällig. Sie erschienen grundsätzlich getrennt zur Arbeit, und hier war ihnen nicht das Geringste anzumerken. Er war der Einzige, der von ihrer Beziehung wusste, wäre jedoch lieber ahnungslos geblieben. Die Gewichtung innerhalb ihres Teams hatte sich verschoben, und das behagte ihm nicht. Er war neidisch, gestand er sich ein.
»Morgen«, flötete Patrizia unerträglich gut gelaunt.
»Wo bleibt Paul?«, brummte er statt einer Begrüßung.
»Ist unterwegs.«
Ihre Fröhlichkeit stand in krassem Gegensatz sowohl zu ihrer Unausgeschlafenheit – sie konnte kaum aus den Augen schauen, bemerkte er – als auch zum Wetter. Was laut Vorhersage ein kalter, aber klarer Tag hätte werden sollen, entpuppte sich als trist und schmuddelig, dichter Nebel hing in Schwaden zwischen den Gebäuden und würde alsbald die Straßen in Eisbahnen verwandeln. Man konnte niemandem mehr trauen.
»Glatt draußen?«, erkundigte er sich und sah ihr zu, wie sie einen meterlangen Schal vom Hals wickelte – giftgrün, was für eine Geschmacksverirrung – und den dicken braunen Mantel auszog und an den Haken hängte, wo er steif seine Form behielt, als würde sie noch drinstecken. Er stellte sich ihre zappelnden Füße vor und unterdrückte ein Grinsen.
»Nur auf den Bürgersteigen.« Sie stapfte zur Kaffeemaschine und schaltete sie ein. »Auch einen Tee?«
Hartmann verschluckte sich und musste husten.
»Schon gut«, sie wandte sich grinsend zu ihm um, »war nur ein Scherz.«
Ein schlechter Scherz am frühen Morgen. Dies war kein guter Tag, befand er und zog die Akte, die Groen ihm überlassen hatte, zu sich heran, um sie geflissentlich zu studieren, als wüsste er nicht längst, was drinstand.
»Saukälte.« Paul Zinkel polterte zur Tür herein und stampfte mit den Stiefeln auf den Boden, wie um ganze Lawinen loszutreten, hängte seine speckige Lederjacke, aus der zottiges Lammfell quoll, ein Relikt aus bewegter Jugend, neben Patrizias leere Hülle und fläzte sich auf seinen Stuhl. »Was liegt an?«, erkundigte er sich, Munterkeit vortäuschend, die er kaum empfinden konnte. Er musste die Brauen hochziehen, um die Augen überhaupt offen zu halten.
»Eine vermisste Person«, sagte Hartmann.
»Prima, nicht zuständig.« Paul ließ die Lider sinken.
»Leider doch, Fromm hat es
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