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Spur nach Ostfriesland

Spur nach Ostfriesland

Titel: Spur nach Ostfriesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sommer
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würde, und der war viel zu erfahren, um den Leuten auf die Nase zu binden, dass die Abteilung für Tötungsdelikte jetzt die Ermittlungen übernommen hatte. Ob zu Recht oder nicht. Für einen Moment ließ er die Vorstellung zu, es handelte sich um seinen Sohn, seine Tochter, spürte die unsägliche Angst, die sich mit der Ungewissheit, dem ständigen Wechsel zwischen Hoffen und Bangen nur steigern konnte und durch nichts zu dämpfen war, präsent jede Minute, jede Sekunde, eines jeden Tages. Falls die familiären Verhältnisse einigermaßen intakt waren, das vorausgesetzt natürlich. Er schauderte, es war nicht hilfreich, sich allzu sehr hineinzuversetzen, er sollte es besser wissen.
    Patrizia legte eben den Hörer auf und schob Paul einen Zettel zu. »Den Zugführer triffst du noch exakt zwei Stunden zu Hause an.« Sie warf einen Blick auf die Uhr. »Könnte knapp werden.«
    »Passt schon.« Zinkel sprang auf und stieß seinen Stuhl so heftig zurück, dass er gegen die Wand rollte, eine weitere Delle hinterließ, wo bereits zahlreiche Spuren seines Ungestüms vorhanden waren. An sich wirkte er eher behäbig, was er durch seine Artikulation noch unterstrich. Er war prädestiniert für die Rolle des »guten Polizisten«. Allerdings kursierte mit jeder neuen Kerbe das Gerücht, sie hätten mal wieder einem Geständnis nachgeholfen, aber Hartmann hatte den Verdacht, dass Paul selbst es in Umlauf brachte. »’tschuldigung«, murmelte er jetzt, schnappte sich seine Flowerpower-Jacke und eine der Kopien des Fotos, die der Drucker mittlerweile ausgespuckt hatte.
    »Ich ruf dich an, wenn ich mehr über ihre Kleidung weiß«, rief Hartmann ihm nach, gerade bevor die Tür zuknallte.
    »So«, sagte Hartmann und stand ebenfalls auf, »dann mach ich mich auch mal auf den Weg.« Er trank den Rest seines Kaffees aus und zog den soliden dunkelgrauen Wollmantel über – distinguiert, hatte der Verkäufer behauptet, wozu auch immer das gut sein sollte – und war schon auf dem Flur, als er den Kopf noch einmal hereinstreckte. »Das Alibi von Michael Martens heißt Nathan Philips, findest du in der Akte, überprüfst du das auch noch?« Er wartete keine Antwort ab. »Hat aber Zeit bis heute Nachmittag, ist auch ‘n Lehrer. Also bis später dann, wir halten uns auf dem Laufenden.« Patrizia nickte nur.
    Hartmann eilte den Flur entlang, mied den Fahrstuhl, der so offenkundig bald an irgendeiner geheimnisvollen, aber hörbaren Krankheit krepieren würde, dass sich ihm kaum noch jemand anvertraute, und nahm die Treppe zur Tiefgarage. Er erreichte seinen Wagen, stieg ein und verharrte einen Moment, bevor er losfuhr. Noch war es einfach ein Job, einer, den er einigermaßen beherrschte und der ihn sogar bis zu einem gewissen Grad befriedigte. Den Vorsatz, einen Fall nicht zu nah an sich heranzulassen, fasste er jedes Mal, nur um ihn dann doch zu brechen. Ein frommer Wunsch.
    ***
    Katharina Martens hatte schlecht geschlafen, hatte lange grübelnd wach gelegen, während Michael unbekümmert vor sich hin schnarchte, obwohl er behauptete, dass allein sie diese Angewohnheit besaß. Gegen zwei oder drei Uhr war sie endlich weggedämmert, aber immer wieder hochgefahren aus altbekannten Albträumen, die sie längst nicht mehr schrecken sollten. Die verpassten Flieger, weil die Koffer nicht fertig gepackt waren, die endlosen Gänge und das Hotel mit dem spiralförmig sich hochwindenden treppenlosen Flur, den sie entlanghastete, außer Atem, die Waffe in der Hand, und sie wusste nie, ob sie nun Gejagte oder Jägerin war. Sie hatte verschlafen, wie Michael um halb sechs aufgestanden war, und ihm kein »Fahr vorsichtig« mit auf den Weg gegeben, ein vergessenes Mantra, außer sie hätte im Schlaf gesprochen, was angeblich öfter vorkam. Und obendrein hatte der Wecker nicht geklingelt, und sie war erst um Viertel vor acht aufgewacht.
    Der zweite Tag, der ohne die übliche Routine begann. Eine innere Stimme warnte sie, dass sich daran vorerst nichts ändern würde, dass sie das fast langweilige Einerlei, gerade gut genug, einem Tag ein sicheres Gerüst zu verleihen, noch mit all ihrer Kraft herbeisehnen würde.
    Sie nahm gerade eine telefonische Bestellung auf, ein schwieriges Unterfangen bei der momentanen Geräuschkulisse. Eine Mutter war mit einer lautstarken Horde Kinder eingefallen, und Frau Borden versuchte tapfer, dem Gejohle zum Trotz ihr Verkaufsgespräch durchzuführen.
    »Einen Moment, bitte«, sagte sie in den Hörer, hielt das Mikro zu

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