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Spur nach Ostfriesland

Spur nach Ostfriesland

Titel: Spur nach Ostfriesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sommer
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klarkäme. Sie hatte sich jämmerlich geirrt.
    »Wollen Sie nicht hereinkommen, Inka?«
    Ihr Kopf schnellte hoch, und sie sah verschwommen jemanden in der Tür stehen. Sie blinzelte, hatte nicht gemerkt, dass sie weinte, und tupfte sich hektisch die Augen, bis sie erkannte, ohne jeden Zweifel erkannte, was sie schon anhand der Stimme hätte erfassen müssen, dass es sich um ihre Psychologin handelte, um Heide Amelung.
    »Ja, doch«, stammelte sie und stemmte sich mühsam, wie unter Schmerzen hoch und wankte ihr voran ins Sprechzimmer, steuerte auf ihren angestammten Platz zu, den Ledersessel, nicht die Couch, liegend war sie sich schon immer viel zu hilflos vorgekommen, sank hinein, erschöpft, vollkommen ausgelaugt. Das Leder quietschte leise und heimelig, und sie ließ ihren Atem in einem langen Seufzer entweichen, sicher, hier war sie sicher, wenn sie nur bleiben könnte, würde ihr nichts geschehen.
    »Sagen Sie mir, was passiert ist? Warum geht es Ihnen so schlecht?«
    Sie hob die Schultern bis an die Ohren, bis es im Rücken knackte. »Ich weiß es nicht«, sagte sie, »ich weiß nicht, was mir passiert ist. Ich war lange weg, acht Wochen sagen sie, aber ich weiß nicht, wo, ich weiß nicht, warum, ich habe keine Ahnung!«, sie schrie fast und griff sich mit beiden Händen ins Haar, als wollte sie es herausreißen.
    »Wer sagt, dass Sie acht Wochen fort waren?« Amelung senkte ihre ohnehin tiefe Stimme noch um ein paar Töne.
    »Die Polizei. Christian.« Sie sprach zögerlich.
    »Also unzweifelhafte Quellen, ja? Glauben Sie ihnen?«
    »Ich schätze ja. Aber«, fügte sie hinzu, »ich würde lieber nicht. Glauben, meine ich. Es wäre mir lieber, ich könnte das Ganze vergessen, ich meine, ich  habe  es vergessen, mir ist ja nicht mal bewusst, dass acht Wochen vergangen sind, das muss man doch merken, oder? Eine so lange Zeit kann doch nicht einfach verschwimmen zu einer Art Alptraum, nur dass der gar nicht so gruselig war, und das kann doch auch nicht sein. Ach, ich komme mir schon wieder so dumm vor, und jetzt, wo ich hier sitze, denke ich, was für ein Blödsinn, ich spinne mir bloß was zusammen, was absolut nicht real ist.«
    »Verstehe. Was ist denn das Letzte, woran Sie sich vor Ihrem Verschwinden erinnern können?«
    »Ich war zu einer Fortbildung in der Nähe von Wiesbaden. Vier Tage Wildnis, wofür auch immer das gut sein soll. Ich hatte ein blödes Gefühl und wollte schon ablehnen, aber mein Chef hat mir die Teilnahme nahegelegt, eine Weigerung würde sich negativ auf meine Karriere auswirken. Hätte ich bloß auf meine Vorahnung gehört. Hätte ich mich bloß vorher gründlicher informiert. Es war so grässlich da, das können Sie sich nicht vorstellen. Ich habe erwartet, dass man ein paar Tage durch die Gegend latscht, ein bisschen Naturkunde obendrauf und Übernachtung im Zelt. Mit Catering. Aber tatsächlich war das ein knallhartes Survivaltraining, und wer braucht das schon?«
    »Gute Frage.«
    »Wir waren bloß zwei Frauen unter einem Haufen Möchtegern-Pfadfinder«, fuhr Inka fort, »und ich war natürlich die, die schikaniert wurde. Gruppendynamik ist schon etwas Interessantes, besonders männliche Gruppendynamik, denn Josi und ich waren so eine Art Katalysator. Sie war die, an der sie ihre Ritterlichkeit bis zum Exzess auslebten, und ich …«, sie bedeckte ihre errötenden Wangen mit den Händen, »an mir haben sie den Rest ihres beträchtlichen Spektrums ausgelebt.«
    »Was ist das für ein Gefühl, wenn Sie jetzt daran zurückdenken?«
    »Ach, wie ich Ihre überflüssigen Fragen doch vermisst habe.« Inka erlaubte sich ein kurzes Lächeln. »Das wissen Sie doch längst. Ich schäme mich, es ist mir so peinlich, dass ich das zugelassen habe, dass ich mich nicht besser wehren konnte.«
    »Genauso überflüssig wie meine Kommentare, oder?« Amelung erwiderte das Lächeln. »Sie wissen selbst, dass es Ihnen nicht peinlich zu sein braucht, dem Druck nicht standgehalten zu haben. Aber was hätten Sie denn anders machen können? Wie hätte eine in Ihren Augen angemessene Reaktion aussehen sollen?«
    »Ich hätte sofort abreisen müssen, als mir klar wurde, was da abgeht, aber meine Karriere war mir wichtiger.«
    »Das ist legitim«, warf Amelung ein, »Sie arbeiten an exponierter Stelle in einem großen und, wie ich annehme, männerdominierten Konzern, in dem Sie sich behaupten müssen. Logisch, dass Sie nicht den Feigling geben wollten, der beim Anblick eines Regenwurms Reißaus

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