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Spur nach Ostfriesland

Spur nach Ostfriesland

Titel: Spur nach Ostfriesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sommer
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also passen Sie auf mit dem, was Sie sagen, wie Sie sich bewegen, worauf Sie einen Blick werfen. Sie registriert das alles.«
    Sie errötete schon wieder, bemerkte Zinkel und nahm an, es sei ihr unangenehm, dass in ihrem Beisein über sie geredet wurde. Aber warum hatte sie sich so völlig ausgeklinkt?
    »Was ich sagen will«, fuhr Martens fort, »wenn ich der wäre, für den Sie mich halten wollen, sie hätte mich längst überführt.«
    »Die Frage ist aber doch«, gab Zinkel zu bedenken, »würde sie das auch sagen? Sie ist nämlich das, was wir gemeinhin befangen nennen.«
    »Auch hier irren Sie sich. Ihr Rechtsempfinden ist …«, Martens stockte. »Nennen wir es ausgeprägt. Sie bleibt an jeder roten Fußgängerampel stehen, selbst wenn weit und breit kein Auto in Sicht ist. Gott, ich habe nicht mehr blaugemacht, seit ich die Frau kenne. Sie wäre die Erste, die mich belasten würde, wenn es etwas Belastendes gäbe, fürchte ich. Sie verschwenden hier Ihre Zeit.«
    »Nein.« Seine Frau widersprach mit Vehemenz. »Sie verschwenden Franziskas Zeit!«
    Das Klingeln des Telefons enthob ihn einer Antwort. Sie wandte sich ab, um das Gespräch entgegenzunehmen, ihr Mann hob die Schultern und öffnete die Hände, als wolle er sagen, so ist sie, da kann man nichts machen.
    Zinkel nickte anstelle eines Grußes, griff nach seiner Tüte und verließ das Geschäft.
    Der Wind hatte aufgefrischt und den Nebel zwischen den Häusern vertrieben. Der Himmel war grau mit einem Stich ins Gelbliche, und es roch nach Schnee. Besser, er beeilte sich, zurück nach Wiesbaden zu kommen. Am Fuß der Treppe angelangt, stellte er fest, dass Patrizias Wagen verschwunden war. Natürlich, sie hatte ja nicht wissen können, dass er hier war. Er mied den Gehweg, lief die Straße entlang bis zur Ecke und hinauf zum Bahnhof, wo er sein Auto abgestellt hatte.
    Als die ersten Flocken federgleich zu Boden schwebten, passierte er gerade die Stadtgrenze. Er fror erbärmlich, irgendetwas stimmte mit der Heizung nicht, und er sehnte sich nach seinem Wohnzimmer, einer warmen Decke, einem Glühwein. Langsam in den Abend hinübergleiten, allein sogar, vielleicht einen Film reinziehen, etwas Archaisches, einen, bei dem man von vornherein wusste, wer die Guten, wer die Bösen waren. Ihm waren die Maßstäbe abhandengekommen. Völlig grundlos eigentlich, wenn er darüber nachdachte, aber dennoch fühlte er sich seltsam verunsichert. Nicht nur beruflich, gestand er sich ein.
    Lag das an dieser merkwürdigen Inszenierung? Das war es doch gewesen, oder? Aber zu welchem Zweck? Er nahm den Martens diese Offenheit nicht ab. Man breitete nicht das Innere einer Ehe vor einem beliebigen Fremden aus, nicht einmal vor der Polizei, vor der schon grad gar nicht. Wenn Martens etwas zu verbergen hatte, dann war seine Nonchalance, die irgendwie nicht im Einklang mit seinen eindringlichen Worten schien, eine schauspielerische Darbietung ersten Ranges gewesen.
    Und seine Frau? Ihr müheloses Umschalten von beruflich auf privat und zurück? Er könnte ihr fünf einander widersprechende Etiketten anhängen, und keines davon wäre falsch. Aber welches wäre das eine, das ihre Persönlichkeit umschrieb, das echte? Gut, niemand war nur humorvoll oder nur ernsthaft, nur betroffen oder nur unbekümmert, aber eine Eigenschaft dominierte doch zumeist. Oder war dieser totale Wechsel nichts anderes, als wenn andere Berufskleidung anlegten? Schizophrenie als Voraussetzung für den Umgang mit Kunden? Er musste lachen, hörte aber selbst, dass da ein bitterer Beiklang war.
    Oh, es half nichts, er musste ins Präsidium, sie mussten reden, er musste wissen, was die anderen beiden herausgefunden hatten, bevor er seine Bombe platzen ließ. Nach der Hartmann wie nach einem Lieblingsspielzeug greifen würde. Er kannte ihn lange genug, um das zu wissen.
    ***
    Patrizia stand vor einem der zahlreichen Sechsparteienhäuser, die, in den Achtzigern, schätzte sie, jede Baulücke Niedernhausens ausgefüllt hatten. Gewiss, sie waren gefälliger als die klotzigen Hochhäuser oben am Waldrand, aber zu uniform für ihren Geschmack, zu sehr »Rasen betreten verboten« in ihrer Wohlanständigkeit, die doch allmählich zu bröckeln begann, wie erste Risse im Putz bezeugten und grünliche Flecken dort, wo die Dachrinne defekt sein musste. Sie war bislang niemandem begegnet, und es war auch nichts zu hören, kein Kindergeschrei, kein bellender Hund, nichts rührte sich, nicht einmal eine Gardine, hinter der

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