Spur nach Ostfriesland
versuchen, die Anrufe zu erledigen«, wies Katharina Marie an. »Ist eigentlich eine gute Zeit, und dann müssen die ›Was ist was‹-Bände schon wieder geordnet werden. Wir sind in der Küche, wenn du mich brauchst, ja?«
»Alles klar.« Marie nickte.
»Dein Kommissar hat heute Vormittag die Kundenlisten abgeholt«, hub Katharina an, griff nach ihrem Tabaksbeutel und drehte sich eine Zigarette.
»Er ist nicht –« Sie brach den Satz ab. Zwecklos, darauf einzugehen, sie beschlich allmählich das Gefühl, dass sie mit all ihren Dementis nur das genaue Gegenteil erreichte. »Ist dir denn selbst was aufgefallen?«, fragte sie.
»Nein, aber das ist auch nicht so einfach, weil ich Gesichter und Geschichten zu den meisten Namen habe.« Katharina zündete sich ihre Zigarette an, paffte genussvoll und schob ihr den Beutel zu. »Du auch?«
»Nein danke, ich hab selbst«, sagte sie.
»Manche von den Leuten kenne ich seit Jahren, und es fällt mir schwer, sie mit anderen Augen zu betrachten, mir vorzustellen, sie könnten in ein Verbrechen verwickelt sein. Dabei schreibe ich Kriminalromane, in der Fiktion kann ich das also durchaus. Aber sogar bei den unangenehmsten Kunden habe ich da diese Sperre im Kopf. Ich meine, da ist dieser Gentner, der Franziska angebaggert hat, klar, ich habe die Information weitergegeben, aber wirklich vorstellen, dass er etwas mit ihrem Verschwinden zu tun hat, kann ich mir nicht.«
Marilene erinnerte sich, dass das einer der Namen war, die Hartmann genannt hatte. Wie lautete noch gleich der andere? »Petersen«, fiel ihr ein, »hast du über den auch etwas weitergegeben?«
»Nein, warum?«
»Der Name fiel im Zusammenhang mit Gentner.«
»Hm«, überlegte Katharina, »ich weiß nicht, ob die was miteinander zu tun haben. Kommt mir unwahrscheinlich vor. Gentner ist Unternehmensberater und tatsächlich kein so angenehmer Zeitgenosse. Was Petersen beruflich macht, weiß ich nicht, ich weiß nur, dass er hauptsächlich Reiseführer kauft. Er ist sehr freundlich auf so eine jungenhafte Weise, wirkt ein bisschen wie ein Kirchentagsteilnehmer, ohne jetzt boshaft klingen zu wollen, aber man entwickelt mit der Zeit so seine Kategorien.«
»Die Schubladen, in die wir unsere Zeitgenossen packen, sind doch eigentlich ganz hilfreich«, beschwichtigte Marilene. »Ich habe durch dieses Attribut tatsächlich ein Bild vor Augen. Hat Hartmann«, sie verkniff sich das »mein«, »denn sonst gar nichts verlauten lassen? Wo du stehst, beziehungsweise dein Mann?«
»Nein, ich habe schon den Eindruck, dass er sich nicht völlig auf Michael konzentriert.« Die Ladenklingel schlug an, und Katharina lauschte für einen Moment abwesend. »Aber dass er ihn ausgeschlossen hat, glaube ich auch nicht«, fuhr sie fort. »Michael ist sich über die Konsequenzen all dessen gar nicht im Klaren. Ich mache mir viel mehr Sorgen um ihn als er sich selbst, dabei sollte meine Hauptsorge eigentlich Franziska gelten.«
»Na komm, sie ist eine Angestellte von dir, dass du dich um deinen Mann ganz anders sorgst, ist kein Grund, auch noch ein schlechtes Gewissen zu entwickeln.«
»Das«, Katharina verzog leicht den Mund, »ist so was wie mein zweiter Vorname.«
»Anerzogen oder genetisch bedingt?«
»Gute Frage. Ich schätze genetisch. Oder meinst du, dass Männer ein Gewissen haben?« Katharina riss die Augen auf, als fände sie diesen Gedanken schon sehr überraschend.
Marilene lachte. »Spaß beiseite. Lass uns doch mal ganz theoretisch herangehen. Eine Frau, irgendeine Frau verschwindet. Was kann passiert sein?«
»Lösegeld oder Leiche. Oder sie wollte verschwinden. Das passt alles nicht. Frauen verschwinden nicht spurlos aus freiem Willen, da wäre, glaube ich, mindestens ein Brief, ein ›Das hast du nun davon‹. Lösegeld ist nicht zu holen, so sind Franziskas Verhältnisse nicht. Und Leiche?« Katharina schüttelte langsam den Kopf. »Ich kann mir ein über Vergewaltigung hinausgehendes Verbrechen in Niedernhausen nicht vorstellen. Und ich schätze, dass Hartmann genau deshalb an eine Tat im näheren Umfeld und nicht an den großen Unbekannten glaubt.«
»Das mag sein«, stimmte Marilene zu, »aber entweder würde es sich dann um ein Sexualverbrechen oder um eine Beziehungstat handeln, eine Affekthandlung also, und dann gäbe es auch eine Leiche. Außerdem glaubt Hartmann ja, dass sie noch lebt.« Sie konnte gerade noch verhindern, dass sie ausplauderte, was Hartmann unfreiwillig verraten hatte.
»Nur weil
Weitere Kostenlose Bücher