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Spur nach Ostfriesland

Spur nach Ostfriesland

Titel: Spur nach Ostfriesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sommer
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das denn nun zu bedeuten?, überlegte Marilene. Die Bestellung war doch in seinem Namen erfolgt, und nun tat er so, als sei das völlig neu für ihn? Sie bedeutete Katharina, hierzubleiben, und ging in den Laden.
    »Guten Tag«, sagte sie und stellte sich hinter den Tresen zu Marie, »ich darf doch zuschauen?«
    »Oh«, Gentner zog beide Brauen nach oben, »eine neue Mitarbeiterin.«
    Marilene widersprach nicht und ignorierte auch Maries fragenden Blick. »Ach«, sie deutete auf den Bildschirm, »das kenne ich auch, ist ganz schön spannend.«
    »Ich lese überhaupt keine Krimis«, Gentner gab sich herablassend, »meine Frau eigentlich auch nicht. Aber jetzt bin ich neugierig.«
    Das war sie auch. »Ich lese gern Kriminalromane. Sie bieten oft ein kritisches Abbild gesellschaftlicher Realität und greifen Themen auf, mit denen man sich sonst nicht unbedingt beschäftigen würde.«
    »Interessanter Aspekt. Ich war immer der Ansicht, dass Krimis mit der Realität nicht das Geringste zu tun haben. Das fängt doch schon beim ›Tatort‹ an, das ist hanebüchen, die Täter verhalten sich dermaßen dämlich, dass ihnen ein Kleinkind draufkommen würde. Und dann braucht es natürlich nicht mehr als das Bauchgefühl eines unqualifizierten Kommissars, um den Fall zu lösen. Die intellektuelle Herausforderung geht gegen null.«
    »Aber ist nicht auch das nur realistisch?« Marilene ließ nicht locker. »Jedenfalls dann, wenn es sich um eine Beziehungstat oder eine Tat im Affekt handelt, was ja meistens miteinander einhergeht.«
    »Mag sein, aber das ist doch vollkommen belanglos. Die Abgründe menschlicher Verhaltensweisen zu studieren ist nur dann interessant, wenn Aussicht auf Veränderung besteht. Glauben Sie daran?«
    »Unser Gesellschaftssystem beruht auf dieser Prämisse«, entgegnete sie, »sonst gäbe es heute noch die Todesstrafe und keinen halbwegs modernen Strafvollzug.«
    »Beides ist nur die Rache der Gesellschaft an dem, was ihr nicht entspricht, was ihren scheinheiligen Konventionen zuwiderläuft.« Gentners Augen blitzten. »Mit wirklicher Veränderung oder dem, was man so hochtrabend Rehabilitation nennt, hat der moderne Strafvollzug nichts gemein.«
    »Es gibt kein System, das nicht verbesserungswürdig wäre«, gab Marilene zu, »trotzdem gibt es Regeln, die eingehalten, und Regelverstöße, die geahndet werden müssen, sonst befänden wir uns in einem gesetzlosen Raum.«
    »Der Albtraum Anarchie, sind wir dem nicht schon sehr nahe? Terrorismus ist doch auch nur eine Variation davon. Versagt unser System hier nicht ganz kläglich? Und, meine Liebe, Ihre These setzt eines voraus, und ich rede nicht von Ihrem Mörder aus banalen Beweggründen: Die Täter müssen gefasst werden.«
    Marilene wusste kaum, wie ihr geschah. Wie war sie in diesen Disput hineingeraten? Und wie kam sie wieder heraus? »Ich versichere Ihnen«, sagte sie, »in diesem Roman wird der Täter gefasst. Allerdings kann ich mich nicht mehr erinnern, ob von der Justiz oder vom Opfer.«
    Gentner lachte auf. »Sehen Sie, genau deshalb bezweifle ich den Realitätsgehalt von Kriminalromanen. Aber ich bin gespannt. Wir setzen unseren kleinen Diskurs fort, wenn ich es gelesen habe. Dann bin ich Ihnen eher gewachsen. Schade übrigens«, er hob die Brauen, wie um seine Aufrichtigkeit zu unterstreichen, »Sie haben Ihr Potenzial verschenkt. Sie hätten Richterin werden sollen. Oder Anwältin. Frau …«
    »Müller«, vervollständigte sie. »Ich bin Anwältin.«
    Er lachte abermals, lüpfte einen imaginären Hut und verließ das Geschäft.
    »Mann«, sagte Marie entrüstet, »was sollte das denn? Labert Niklas dich nicht genug zu, oder was?«
    »Marilene!« Katharina war nach vorn gekommen, der Vorwurf unüberhörbar. »Du kannst dich nicht als Lockvogel präsentieren, das ist viel zu gefährlich!«
    »Ich bezweifle stark, dass ich dem Opferprofil entspreche«, entgegnete Marilene, »aber wenn’s dich beruhigt, kann ich ja Hartmann informieren.« Was sie durchaus tun würde, sie legte sich nur nicht fest, wann.
    »Opfer?« Marie blickte beunruhigt von einer zur anderen. »Ihr glaubt, dass der es war? Der tickt doch bloß nicht richtig.«
    »Eben«, sagten Katharina und Marilene zeitgleich.
    Marie verdrehte die Augen. »Wenn zwei dasselbe sagen, kommt überraschend Besuch. Sagt Oma. Ich kann nur hoffen, dass das bloß so ein blöder Aberglaube ist. Können wir jetzt vielleicht nach Hause fahren? Oder sollen wir warten, bis sich der nächste Mörder

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