Spur nach Ostfriesland
outet?«
»Hol schon mal unsere Sachen«, bat Marilene.
»Im Ernst«, Katharina senkte die Stimme, »auch wenn ich eigentlich skeptisch bin, dass er etwas damit zu tun hat, finde ich es trotzdem nicht in Ordnung, was du da gemacht hast. Und wenn du Hartmann nicht informierst, tu ich das.«
»Schon gut«, räumte Marilene ein, »ich mach nichts Unvernünftiges, versprochen.«
7
Hartmann legte fluchend den Hörer auf. Dieses Weib! Was glaubte sie eigentlich, was er hier machte? Däumchen drehen? Musste sie sich jetzt wieder einem Verdächtigen präsentieren, als handelte es sich um einen Wettbewerb? Ein Casting für das geeignetste Opfer? Er schnaubte. Die Frau gehörte hinter Gitter, zu ihrem eigenen Schutz!
Er konnte froh sein, dass Katharina Martens ihn über ihren sträflichen Leichtsinn informiert hatte, und das war auch schon das einzig Gute an der Geschichte. Was hatte sie sich bloß dabei gedacht? Gar nichts, beantwortete er seine eigene Frage, sie dachte nie, bevor sie in eine Situation hineintrampelte, deren Ausgang nicht absehbar war. Und die Folgen der Begegnung mit Gentner waren absolut unkalkulierbar. Ein Disput, eine Art intellektuelles Kräftemessen, hatte die Buchhändlerin es genannt, harmlos eigentlich, und der Grund für ihren Anruf sowieso nur, dass Martin Gentner behauptet hatte, nichts von der Buchbestellung zu wissen.
Wenn das stimmte, warf das ein völlig anderes Licht auf den Fall, oder? Wenn das stimmte, was wollte Gentners Frau damit bezwecken? Ihren Mann beschuldigen? Was warf sie ihm vor? Was wusste sie über seine Machenschaften? Oder sah sie sich selbst als Opfer? War sie Teil einer Serie, an die zu glauben ihm schwerfiel? Und das, musste er sich eingestehen, lag allein daran, dass er keinen Schimmer hatte, was hinter diesen Entführungen steckte.
Warum sollte jemand mehrere Frauen entführen und sie weder vergewaltigen noch ermorden? Und wenn er diese Frage je beantworten könnte, würde das zum Täter führen? Wenigstens zu Franziska Eising. Falls die überhaupt in die Serie gehörte. Es gab bloß keinen alternativen Ermittlungsansatz, sie mussten bei dieser Schiene bleiben. Wenn sie sich irrten, dachte er zynisch, war es eh schon egal, dann war sie längst tot und irgendwo verscharrt.
Wie weiter?, überlegte er. Patrizia hatte er nach Mainz geschickt, Gentner junior zu befragen, und Paul sollte Petersen beobachten. Sein eigenes Telefonat mit dem Polizeipsychologen hatte ihm zwar den Namen des behandelnden Arztes beschert, an den die Frauen verwiesen worden waren, aber dort hatte er lediglich den Anrufbeantworter erreicht. Nicht, dass er ernsthaft daran glaubte, die Schweigepflicht sei ein überwindbares Hindernis. Besser, er ging das Ganze vom anderen Ende her an. Er suchte die Akte Claudia Schuch und griff noch einmal zum Telefonhörer. Sie war zu Hause. Sie sei immer zu Hause, sagte ihr Mann, er solle ruhig vorbeikommen.
Scheiß Wetter, fluchte er, als er das Gebäude verließ, sich im Gehen seinen Mantel überstreifte und zu seinem Wagen schlitterte. Jetzt noch fuffzig Kilometer zu fahren grenzte an Fahrlässigkeit, aber eine innere Unruhe trieb ihn an, das Gefühl, lieber nicht zu verschieben, was sich noch heute erledigen ließ. Der Verkehr stadtauswärts auf der B455 war, wie immer um diese Zeit, nervtötend stockend, doch sobald er die Autobahnauffahrt Niedernhausen erreicht hatte, ging es zwar langsam, aber gleichmäßig voran, etwas, das er nicht beschreien sollte, denn allabendlich meldete der Rundfunk auf der A3 zwischen Frankfurt und Limburg einen Stau nach dem anderen.
Er hatte Glück. Es schien, als bewirke das Wetter ausnahmsweise mal den Verzicht auf Mobilität, und so führte ihn das Navi in kürzester Zeit in die Limburger Innenstadt, bescherte ihm sogar einen Parkplatz direkt vor dem gesuchten Haus. Er nahm es als Omen, vielleicht war diese späte Exkursion doch kein Fehler.
Die Wohnung befand sich oberhalb eines Sportstudios. Er fragte sich, ob man das Gehampel und Geächze dort hören konnte, und stellte sich das reichlich demoralisierend vor. Der indirekten Mahnung zum Trotz nahm er den Aufzug in den zweiten Stock. Der Mann, der ihm gegenüberstand, als die Türen aufglitten, wirkte angespannt und müde. Seine extrem gerade Haltung verlieh ihm etwas Stoisches, während seine dunklen Augen nahezu hinter den Lidern verschwanden, als würde er jeden Moment in Tiefschlaf fallen. Sein dunkles Haar schien vor der Zeit ergraut, er schätzte ihn nicht älter
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