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Spur nach Ostfriesland

Spur nach Ostfriesland

Titel: Spur nach Ostfriesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sommer
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verklangen, lange nachdem die Vögel nur noch winzige dunkle Punkte am Himmel waren, wie Staub auf der Linse, erst dann klappte er den Mund zu und fühlte sich merkwürdig beraubt.
    »Gänse«, erläuterte Lübben.
    »Oh.« Zu mehr war er nicht in der Lage. Er wollte das noch einmal sehen. Unbedingt.
    »Mir scheint, Ostfriesland hat dich soeben gepackt.« Lübben grinste. »Lass deine Verzückung bloß nie raus, wenn Bauern in der Nähe sind. Die finden es nämlich nicht so witzig, dass die Viecher ihre Felder kahlfressen.«
    »Mir ganz egal. Ich würde ihnen eigens die Felder bestellen, wenn sie nur wiederkommen. Sie ist nicht da, lass uns verschwinden.«
    »Sofort.« Lübben kritzelte etwas auf einen Zettel, den er in Inkas Briefkasten stopfte. »Vielleicht reagiert sie ja darauf. Was ist, wollen wir es bei ihrem Freund versuchen?«
    Zinkel nickte. Was er eigentlich wollte, war, hinauf in ihre Wohnung, sich an ein Fenster setzen und einfach nur schauen. Er stapfte hinter Lübben drein, setzte sich in den Wagen und schloss die Augen, wie um das Gesehene zu bewahren.
    »Wir sind da.«
    Zinkel schrak auf. Er musste eingenickt sein. Sie standen vor einer Zahnarztpraxis, »Dr. Christian Hafner«, las er und schluckte. Er hasste Zahnärzte fast so sehr wie die Verbrecher, die er jagte, konnte nicht begreifen, wie man diesen Beruf überhaupt ausüben konnte. Wenn dann noch diese gewisse sadistische Ader zum Vorschein kam, war es um seinen Magen vollends geschehen.
    Sie betraten die Praxis, und er verlegte sich auf Mundatmung, den Geruch hier konnte er nämlich auch nicht ab. Fehlten bloß noch Ohrenschützer, um das grauenerregende Geräusch des Bohrers zu dämpfen, der in diesem Moment mit einem letzten schrillen Jaulen erstarb.
    »Moin«, grüßte Lübben freundlich.
    Zinkel beschränkte sich auf ein Nicken. Hier würde er den Mund gewiss nicht aufmachen.
    »Kripo Leer«, fuhr Lübben fort, »wir müssten mal kurz mit Doktor Hafner sprechen.«
    Ein hagerer, überaus großer Mann in weißen Jeans mit buntem Hemd darüber trat zu ihnen. Seine Frisur hatte etwas Diabolisches an sich, das dunkelbraune wirre Haar war eines Dirigenten würdig, der mit dem Stab nach taktlosen Musikern stieß. Die Einweg-Handschuhe verrieten ihn. »Worum geht es denn?«, fragte Hafner, ein Lächeln im Gesicht, das Zinkel für komplett unangemessen hielt.
    »Inka Morgenroth«, sagte Lübben.
    »Was ist mit ihr?« Hafner scheuchte sie mit ausholender Geste vor sich her, am Empfang vorbei in eine kleine Teeküche.
    »Wissen Sie, wo sie ist?«
    »Sie arbeitet. In Oldenburg.«
    »Eben nicht«, entgegnete Lübben, »sie hat sich schon am Montag krankgemeldet.«
    »Oh.« Hafner faltete seine locker eins neunzig in einen Sessel und legte die Stirn in besorgte Runzeln.
    »Wir hatten gehofft, dass sie sich bei Ihnen aufhält?«
    »Nein, leider. Sie entzieht sich mir in letzter Zeit. Ich komme irgendwie nicht an sie heran.«
    »Liegt das an dem, was sie durchgemacht hat?«
    »Wenn sie darüber sprechen würde, könnte ich diese Frage vielleicht beantworten. Tut sie aber nicht. Jedenfalls nicht mit mir.«
    »Ist sie in therapeutischer Behandlung?«
    »Ich hoffe es, aber auch davon weiß ich nichts. Sie war vor Jahren mal in Behandlung bei einer Therapeutin in Leer. Vielleicht ist sie ja so vernünftig und geht wieder dorthin. Warten Sie, der Vorname fällt mir gleich ein, doch, Heide, das ist hängen geblieben, aber mehr leider nicht. Was wollen Sie denn von ihr?«
    »Wir möchten wissen, ob sie sich mittlerweile an Einzelheiten der Entführung erinnern kann«, erläuterte Lübben.
    »Ich wusste nicht mal, dass sie das  nicht  kann.« Hafner stemmte sich aus seinem Sessel hoch. »Wie gesagt, mir gegenüber hat sie kein Wort über die ganze Sache verloren. Schon als ich sie da abgeholt habe, saß sie während der Fahrt bloß stumm neben mir, das hat sich seither nicht geändert.«
    Das spricht nicht für den Fortbestand dieser Beziehung, dachte Zinkel und fragte sich, ob ihre Sprachlosigkeit wirklich auf die Traumatisierung zurückzuführen war oder eher auf das Gegenüber. Man konnte doch unmöglich erwarten, dass sich nach einer derartigen Erfahrung nahtlos und selbstverständlich Offenheit einstellte. Das war selbstgerecht und zeugte zumindest von einem gravierenden Mangel an Vorstellungskraft und Einfühlungsvermögen. Na ja, das bestätigte seine Erfahrung mit Zahnärzten.
    Lübben kommentierte das mitleidheischende Lamento ebenso wenig. »Wenn sie

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