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Spur nach Ostfriesland

Spur nach Ostfriesland

Titel: Spur nach Ostfriesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sommer
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sich bei Ihnen meldet, richten Sie ihr bitte aus, dass wir sie sprechen müssen.« Er drückte Hafner seine Karte in die Hand, nickte ihm zum Abschied zu und schob Zinkel vor sich her nach draußen. »Ich hasse diesen Geruch«, erklärte er. »Meine Mädels kriegen Zahnspangen, ich muss das öfter über mich ergehen lassen, als mir lieb ist.«
    »Posttraumatisches Stresssyndrom, nehme ich an.« Zinkel grinste und atmete befreit die eisige Luft ein. Roch anders als zu Hause.
    »Und das lassen wir jetzt behandeln, was meinst du?« Lübben zog sein Handy aus der Tasche und telefonierte, während er die Zentralverriegelung anklickte und sie sich auf ihre Sitze sinken ließen.
    »Heide Amelung«, sagte er, nachdem er das Gespräch beendet hatte. »Also zurück nach Leer.«
    »Wie, ich dachte, da wären wir?«
    »Du schnarchst, weißt du das? Aber nicht übermäßig laut. Nein, wir sind in Hesel. Kannst du mal sehen, was ich dir biete.«
    »Hm«, schnaubte Zinkel und wunderte sich, wie lange es dauerte, bis sie endlich auf die Hauptstraße abbiegen konnten, solch ein Aufkommen von Lastwagen kannte er sonst nur von Autobahnen.
    »Die Straße führt nach Aurich, tagsüber ist hier immer viel Verkehr«, erklärte Lübben und reihte sich ein.
    Ländlich, fand er, aber nicht reizlos. Er fragte sich, woher auf einmal diese Faszination am flachen Land kam. Es musste am Himmel liegen, eine Affinität, die ihm ebenfalls neu war. »Da!«, rief er auf einmal.
    »Was?« Lübben verriss das Lenkrad.
    »’tschuldigung«, murmelte Zinkel kleinlaut, »Gänse, nichts weiter.« Er verrenkte sich fast den Hals, um besser sehen zu können, wie ein unüberschaubarer Schwarm schwarz scheinender Vögel, Scherenschnitte in dreieckigen Formationen, das Grau des Himmels überzog. Irre, einfach irre.
    »Okay«, sagte Lübben, »bleib übers Wochenende. Vielleicht reicht das, um dich sattzusehen.«
    »Ja«, hauchte Zinkel, »das Schauspiel einmal vor blauem Himmel sehen.«
    »Dann bleibst du für immer. Aber im Ernst, es könnte sogar klappen. Die Wettervorhersage ist so schlecht nicht. Und die Realität übertrifft die Vorhersagen sowieso meistens. Als würden sich die Meteorologen einfach der landläufigen Meinung anschließen, dass das Wetter im Norden immer schlecht ist. So ein Winter wie dieser ist ewig lange her. Normalerweise ist es hier viel milder.«
    Kaum zu glauben angesichts der schneeüberzogenen Felder. Der schneidende Wind hatte Furchen ins Weiß gezogen, Wellen gleich, die sachte ans Ufer rollten, eingefrorene Momentaufnahme. Beinahe erwartete er, Hundeschlittengespanne zu sehen, die dem Horizont entgegenhechelten, aber das war wohl wirklich zu viel verlangt.
    Sie erreichten die Außenbezirke der Stadt. Fußgängerampeln entzerrten den Strom von Fahrzeugen, sodass sie, rein gefühlsmäßig, besser vorankamen, doch kurz vor dem Bahnhof senkten sich die Schranken direkt vor ihrer Nase.
    »Das dauert.« Lübben schaltete den Motor ab.
    Neben ihnen, an der Schranke für Radfahrer und Fußgänger, entwickelte sich die Menge der Wartenden zu einem Volksauflauf. Eine Horde kreischender Schulkinder, das omnipräsente Kinderwagengeschwader, ein paar ältere Männer, deren Hunde einen repräsentativen Querschnitt durch alle Rassen boten, und die alte schwarz gekleidete Frau, die, ungeachtet der Witterung, mit dem Fahrrad unterwegs war, ohne Helm oder wenigstens Mütze, sogar ohne Handschuhe, fiel ihm auf. Das Display am Armaturenbrett zeigte minus sieben Grad. Er schauderte. »Ab wie viel Grad gilt es denn hier als kalt?«, erkundigte er sich.
    Lübben folgte seinem Blick. »Zäh«, sagte er nur. Die kleine Schranke hob sich zuerst. »Schau nicht hin«, fügte er hinzu, »sie steigt jetzt auf.«
    Er konnte es nicht lassen, hatte eine Hand schon am Sicherheitsgurt, die andere am Türgriff, um zu Hilfe zu eilen, aber die Frau schaffte es, das erste gefährliche Schlingern des Rades legte sich, sobald sie die Gleise überquert hatte und kräftig in die Pedale trat.
    Lübben fuhr an. »Sie fährt wahrscheinlich Rad, seit sie drei ist«, erklärte er. »Das ist das Hauptfortbewegungsmittel hier, sie mögen schlecht zu Fuß sein, aber Radfahren geht dann immer noch eine ganze Weile. Am Fahrrad erkennst du die einheimischen Alten. Die Zugezogenen gehen, wenn’s brenzlig wird, zu Fuß.«
    »Gibt es denn viele? Zugezogene, meine ich.«
    »Oh ja. Leer und auch die Dörfer im Umkreis sind beliebt bei Ruheständlern. Aus dem Ruhrgebiet vor allem.

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