Spuren des Todes (German Edition)
für mich. In der ersten Woche hatte ich nämlich keinen Assistenten, der kam erst sieben Tage später. So lange musste ich allein zurechtkommen. Mir stand auch nur eine Säge zur Verfügung, die für diesen Zweck viel zu klein und eigentlich unbrauchbar war. Mit der Logistik klappte es ansonsten hervorragend, die Lines waren bestens ausgestattet, nur an einer vernünftigen Säge haperte es an meiner Station. Die Hitze und der Gestank taten ihr Übriges. Nach der Schicht war ich mit meinen Kräften immer am Ende.
Die Situation besserte sich, als sich ein französischer Ballistiker erbarmte, der als Assistent in einem der anderen Container eingesetzt war und mit einer Säge hantierte, gegen die meine wie eine Nagelfeile wirkte. Er war so freundlich, mir zu helfen. Bis der planmäßige Assistent anreiste, der sich so ins Zeug legte, dass wir ihm bereits nach dem ersten Tag den Spitznamen »Sepp die Säge« gaben. Jeder bekam einen Spitznamen, ich war das »Kiwi-Girl«. Die Neuseeländer, die von allen »Kiwis« genannt wurden, hatten mich – da es in ihrem Team keine Frau gab – als Maskottchen »adoptiert« und damit praktisch zur Ehren-Kiwi ernannt … Die Arbeit war ernst genug, man musste auch mal lachen.
Die Zusammenarbeit mit den Kollegen aus anderen Ländern funktionierte sehr gut. Wir hatten vor allem mit Neuseeländern, Australiern und Franzosen zu tun, da sie im gleichen Hotel untergebracht waren. Die extreme Erfahrung, die wir gemeinsam durchlebten, schweißte uns irgendwie zusammen.
Allerdings ist mir das erst hinterher so richtig bewusst geworden. Beim Einsatz selbst hatte man seine festgelegten Aufgaben zu erfüllen, war ausgelastet. Und angesichts der belastenden Eindrücke, mit denen man tagtäglich konfrontiert wurde, konzentrierte man sich darauf, seine Job bestmöglich zu erledigen, zu funktionieren. Ich könnte nicht einmal sagen, dass es mir schlechtging in Thailand. Den Anblick von entstellten Leichen kannte ich, auch die Gerüche, die damit verbunden waren. Aber natürlich war die Dimension eine andere.
Es half auch, dass wir nach Feierabend in eine andere Welt verschwanden. Wir waren in einem wunderschönen Hotel untergebracht, das der Tsunami verschont hatte. Abends veranstalteten wir manchmal sogar kleine Poolpartys. Wobei das keine ausschweifenden Feiern waren. Es flog mal jemand in den Pool, mich warfen sie gleich am ersten Abend hinein, in voller Montur, das war ein Ritual für Neuankömmlinge, aber hauptsächlich ging es wohl darum, das tagsüber Erlebte irgendwie zu kompensieren und mal abzuschalten. Am Ende musste jeder allein damit klarkommen, aber es war gut, solche Stunden in Gesellschaft von Menschen zu verbringen, die gerade das Gleiche durchmachten. Man musste nicht miteinander reden und wusste trotzdem, was in dem anderen vorging. Wie wütend es ihn zum Beispiel machte, dass manche Hotelgäste angewidert die Nase rümpften oder sich hörbar beschwerten, wenn jemand von uns nach getaner Arbeit durch die Lobby ging. Der Verwesungsgeruch der Leichen war so intensiv, er kroch in die Kleidung und legte sich auf die Haut, dass man am Abend selbst wie eine Leiche roch. Eine einfache Dusche half da nicht mehr.
Ich hatte mir ein Ritual angewöhnt, nicht nur wegen des Geruchs. Wenn ich nach dem Einsatz ins Hotel zurückkam, zog ich als Erstes einen Bikini an, schnappte mir Schnorchel und Schwimmflossen, ging zum Stand und schwamm mindestens zwanzig Minuten im Meer. Das machte den Kopf frei. Anschließend sprang ich in den Hotelpool und zog auch dort ein paar Bahnen. War ich dann wieder in meinem Zimmer, stellte ich mich unter die Dusche und seifte mich ab. Danach fühlte ich mich wieder wie ein Mensch.
Jeden Abend fand eine Besprechung statt, bei der Probleme besprochen und das Tagesergebnis verkündet wurde, wie viele Fälle wir bearbeitet hatten und wie viele davon erfolgreich. Zum deutschen Team gehörten zu dieser Zeit vierzig Personen. Ich glaube, für alle waren diese Besprechungen wichtig. Dadurch erfuhren wir, dass unsere Arbeit auch von Erfolg gekrönt war. Tagsüber in der Site war jeder ja nur ein kleines Teil im Getriebe des Identifizierungsprozesses, erledigte seine Arbeit an einer Station davon, ohne wirklich ein Ergebnis zu sehen.
Während der Einsätze, die sich über Monate hinzogen, konnten über zweitausendneunhundert Opfer identifiziert werden – von den fünfhundertzweiundfünfzig vermissten Deutschen immerhin fünfhundertneununddreißig. Bei über achtzig
Weitere Kostenlose Bücher