Spuren des Todes (German Edition)
Prozent der deutschen Opfer gelang das anhand des Gebissbefundes, bei dreizehn Prozent durch den Fingerabdruckvergleich. Lediglich bei drei Prozent der Umgekommenen kam man über einen DNA -Abgleich zum Erfolg.
Unsere Gruppe blieb drei Wochen in Thailand. Es war eine extreme Erfahrung, und niemand von uns wusste, wie er sie verdauen würde – ob er sie verdauen würde. Nach unserer Rückkehr wurden wir zum Bundeskriminalamt nach Wiesbaden eingeladen. Dort sprach ein Psychologe mit uns, der aufzuzeigen versuchte, was nach einem solchen Einsatz mit einem passieren kann. Er meinte, es gäbe kein Patentrezept, wie man damit umgehen müsse, jeder verarbeite die Erlebnisse auf seine Weise. Ein Polizist, der auch in Asien eingesetzt war, erzählte, wie er Wochen später an einem Lebensmittel gerochen habe und ihm plötzlich Bilder von verwesten Leichen in den Kopf geschossen seien. Solche Sinneseindrücke, die Erinnerungen an Erlebtes hervorrufen, nennt man Trigger. Sie kommen völlig überraschend, und oft erlebt man sie so intensiv, als würde man die alte Erfahrung noch einmal machen.
In meinem Fall waren es keine Trigger. Ich litt auch nicht unter Albträumen. Das hätte man noch am ehesten erwarten können, bei den Unmengen an Leichen, die ich gesehen hatte. Zumal ein Großteil durch Verwesung furchtbar entstellt war. Oder durch die Verletzungen, die sie erlitten hatten. Von den Opfern waren die wenigsten nur ertrunken. Die meisten Körper waren regelrecht zertrümmert, zerquetscht oder zermalmt worden. Einmal bekam ich ein totes Baby auf den Tisch, dem der Kopf fehlte. Also Stoff für furchtbare Träume hätte es mehr als genug gegeben. Doch die blieben zum Glück aus.
Was mir zu schaffen machte, war eher die Banalität des Alltags. Viele Dinge, über die ich mich vorher geärgert hatte, bekamen ein anderes Gewicht, wurden bedeutungslos. Ich verstand nicht, warum sich die Leute gegenseitig das Leben schwermachen mussten. Es waren doch alles Belanglosigkeiten, um die sie sich stritten. Ob das am Arbeitsplatz war, an der S-Bahn-Haltestelle oder im Supermarkt beim Einkaufen. Wie konnte man sich nur darüber aufregen, dass es eine bestimmte Sorte Käse gerade nicht gab oder dass man eine Minute zu lange an der Kasse warten musste? Es gab wahrlich Schlimmeres auf der Welt. An manchen Tagen hat mich das total runtergezogen, regelrecht depressiv gemacht.
Es war auch schwierig, mit einem Mal nicht mehr mit den Leuten zusammen zu sein, die das Gleiche erlebt hatten. Worüber sollte ich mit den anderen sprechen, sie würden mich doch eh nicht verstehen. Jedenfalls dachte ich das. Hilfreich war sicherlich, dass es am Institut einige Kollegen gab, die auch einen Einsatz in Thailand hinter sich hatten.
Trotzdem war es noch einmal etwas anderes, wenn man die Zeit dort gemeinsam erlebt hatte. Die größte Verbundenheit empfand ich zu den Mitarbeitern des neuseeländischen Teams. Als Ehren-Kiwi hatte ich sogar an ihren Teammeetings teilnehmen dürfen. Mit ihnen hielt ich auch jetzt Kontakt. Im Sommer nach unserem Einsatz luden sie mich zu einer Art
Reunion
ein. Mit dem Treffen wollten sie die Sache für sich irgendwie abschließen, einen Schlusspunkt setzen.
Ich flog nach Neuseeland, freute mich, die Leute wiederzusehen, war aber gleichzeitig etwas angespannt, weil ich nicht wusste, was mich erwartete, vor allem, wie es sich anfühlen würde. Immerhin waren diese Menschen für mich die direkteste Verbindung zu den Erinnerungen an die Zeit in Thailand. In meinem Gehirn spukten noch die Bilder herum, wie wir gemeinsam in den Containern gearbeitet hatten. Nun erlebte ich sie in ihren angestammten Rollen, als Polizisten, Rechtsmediziner, Zahnmediziner, Familienväter. Ich sah, dass sie in ihr normales Leben zurückgekehrt waren. Und ich begriff, dass das trotz der Erlebnisse und Erinnerungen möglich war. Das Leben ging weiter.
Die Reise tat mir gut. Es war tatsächlich so etwas wie ein Abschluss, auch für mich. Gleichzeitig fing ich an, über mein Leben nachzudenken, ob das, was ich hatte, auch war, was ich wollte. Das macht man ja irgendwie immer mal, so eine Art Inventur, doch jetzt ging das tiefer. Ich überlegte, nach Neuseeland zu gehen. Als Rechtsmedizinerin hätte ich gute Chancen gehabt, qualifizierte Leute wurden dort gebraucht.
Dass es dann doch in eine andere Himmelsrichtung ging, und nicht so weit in die Ferne, lag an Dave, der wieder in mein Leben trat. Ich hatte einem Musiker aus England, der in Hamburg
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