Spuren des Todes (German Edition)
umgekommenen Landsleute in Massengräbern zu beerdigen. Aber dann kam der Verdacht auf, unter den Vergrabenen könnten sich auch ausländische Opfer befinden. Daraufhin wurden die Gräber wieder geöffnet und viele der Leichen exhumiert. Es muss alles ziemlich chaotisch gewesen sein, was man aber irgendwie bei dem Ausmaß der Katastrophe auch nachvollziehen konnte.
Aus rechtsmedizinischer Sicht war es eine der größten Herausforderungen, die es jemals gab. Bis dahin war die IDKO hauptsächlich nach Flugzeugabstürzen im Einsatz gewesen. Da hatte man Passagierlisten zur Verfügung, die Zahl der Toten war vergleichsweise überschaubar, und meistens gab es eine intakte Infrastruktur, auf die man zurückgreifen konnte. Nach dem Tsunami war in den betroffenen Regionen so gut wie nichts mehr vorhanden. Zahlreiche Länder entsandten Hilfsteams, von denen jedes nach eigenen Vorstellungen und Methoden arbeitete und diese natürlich für die besten hielt. Das musste erst einmal alles miteinander koordiniert werden.
Die einzelnen Teams gingen anfangs im Wesentlichen nach einem einheitlichen Identifizierungsprotokoll von Interpol vor, das in Europa schon länger angewendet wurde. In das rosafarbene Formular wurden unter anderem alle körperlichen Merkmale eingetragen, die zur Identifizierung eines Toten beitragen konnten: Geschlecht, Körpergröße, Haarfarbe, Tätowierungen, Operationsnarben, alte Knochenbrüche, Endoprothesen, Herzschrittmacher oder Silikonimplantate. Auch Fingerabdrücke gehörten zum Standard. Und ganz wichtig war der Zahnstatus, darüber wurden die meisten Opfer identifiziert, zumindest unter den Touristen.
Auch Kleidungsstücke und Schmuck wurden genau registriert. Die meisten Sachen mussten gewaschen werden, bevor man sie fotografisch dokumentierte, damit man überhaupt erkennen konnte, wie sie ursprünglich ausgesehen haben. In der Kleidung von Kindern fand man manchmal einen Namen, was bei der Identifizierung eine Hilfe sein konnte. Obwohl man sich allein darauf nie verlassen durfte, die körperlichen Merkmale und das alles mussten trotzdem überprüft werden.
Anfangs hatte man sich von DNA -Proben für die Identifizierung den größten Erfolg versprochen. Das stellte sich schnell als Fehleinschätzung heraus. Aufgrund der starken Verwesung konnte man mit Abstrichen von der Schleimhaut in den meisten Fällen nichts anfangen. Deshalb ging man dazu über, den Leichen zwei gesunde Zähne zu ziehen, um aus dem Zahnmark DNA -Material zu extrahieren. Doch auch damit scheiterte man größtenteils. Im Labor stellte sich heraus, dass viele der Proben durch die fortgeschrittenen Zersetzungsprozesse degeneriert waren. Blieb noch die Möglichkeit, jeder Leiche ein Stück vom Oberschenkelknochen zu entnehmen, um daraus DNA -Material zu gewinnen. Das sollte später eine meiner Aufgaben werden.
Bei einer Obduktion beschränkte man sich auf die Eröffnung der Bauchhöhle, wohl auch aus religiösen Gründen. Auf diese Weise versuchte man vor allem herauszufinden, ob die jeweilige Person zu Lebzeiten operiert worden war, zum Beispiel am Blinddarm oder an der Gallenblase.
Zweieinhalb Wochen nach der Katastrophe wurde das Thai Tsunami Victim Identification Information Management Center ( TTVI IMC ) in der Nähe von Phuket Town errichtet, damit eine Vereinheitlichung erzielt und eine gemeinsame Organisationsstruktur geschaffen werden konnte. Dort liefen alle Fäden zusammen. Sämtliche Informationen wurden in ein international standardisiertes EDV -Programm eingegeben. Bis Ende März war die erste Datenerhebungsphase abgeschlossen.
Gleichzeitig versuchte die Polizei in den Heimatländern der Opfer, Vergleichsmaterial wie Fingerabdrücke, DNA -Spuren und Behandlungsakten der vermissten Personen aufzutreiben. In Deutschland wurde das vom Bundeskriminalamt und den jeweiligen Landeskriminalämtern koordiniert. Das klingt einfacher, als es in vielen Fällen war. Manche von denen, die als vermisst galten, hatten ihren Arzt gewechselt, oft mehrfach, sich vielleicht sogar im Ausland behandeln lassen, weil es dort billiger war, gerade wenn es um Zahnersatz und Ähnliches ging. Selbst brauchbare Fingerabdrücke musste man erst einmal finden. Kompliziert war es vor allem dann, wenn derjenige nicht allein in seiner Wohnung gelebt hatte. Schließlich wurden auch diese Daten in das Analyseprogramm eingespeist, und alle Ante-mortem- und Post-mortem-Daten wurden fortlaufend verglichen. Fand sich ein Treffer, also stimmten die Daten
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