Spuren des Todes (German Edition)
im
Birdland
spielte und ihn kannte, meine Mailadresse für ihn mitgegeben, mehr aus einem spontanen Impuls heraus. Dave meldete sich nicht sofort, doch irgendwann kam eine Mail von ihm. Einige Monate später lud er mich nach London ein. Und diesmal war es der richtige Zeitpunkt – für uns beide.
IX. Coroner, Inquests und Jazz
Etwa ein Jahr pendelte ich zwischen Hamburg und London. Aber so konnte es nicht ewig weitergehen. Irgendwann musste ich eine Entscheidung fällen. So sehr ich Hamburg mochte – und noch immer mag –, die andere Liebe war stärker. Also folgte ich meinem Herzen und zog zu Dave. Damit krempelte ich mein Leben um, auch das berufliche.
In England ist das Leichenschauwesen vollkommen anders organisiert. Rechtsmedizinische Institute, die mit denen in Deutschland vergleichbar wären, gibt es hier nur wenige. Das größte gehört zur University of Leicester. Daneben findet man noch ein paar kleinere, das ist es dann aber schon. Nicht einmal in einer Achtmillionenstadt wie London gibt es ein entsprechendes Institut an einer der Universitäten.
Und während Pathologen und Rechtsmediziner bei uns zwei verschiedene Berufe sind, sind die beiden Fächer auf der Britischen Insel eng verflochten. So haben
Forensic Pathologists
nichts mit Lebendopferuntersuchungen, Alkoholbestimmungen und all den anderen Sachen zu tun, mit denen man als Rechtsmediziner in Deutschland beschäftigt ist. In England befassen sie sich ausschließlich mit Toten. Um die anderen Aufgaben kümmern sich Ärzte, meistens sind es Allgemeinmediziner oder Internisten, die ein gewisses Interesse für rechtsmedizinische Belange mitbringen und als sogenannte
Police Surgeons
arbeiten.
Der grundlegendste Unterschied zwischen beiden Systemen besteht darin, dass es in England die Institution des
Coroners
gibt. Der Coroner ist ein Untersuchungsbeamter im Auftrag des Gerichts, der in seiner Funktion aber unabhängig tätig ist. Ernannt wird er von der Regierung. Dieses Amt darf nur jemand ausüben, der einen juristischen oder medizinischen Abschluss vorzuweisen hat, jedenfalls im weitesten Sinne, denn es gibt auch Kriminalisten auf diesem Posten. Voraussetzung ist außerdem, dass er in seinem Fach mindestens fünf Jahre Berufserfahrung gesammelt hat – in England.
Dieser Punkt sorgte nach dem Tod von Amy Winehouse für einigen Wirbel in den Medien. Der für diesen Fall zuständige Coroner hatte als Anwältin zwar die notwendige Qualifikation und auch ausreichend Berufsjahre hinter sich, allerdings in Australien. Demnach hätte die Frau das Amt gar nicht innehaben dürfen. Deshalb wurde das Verfahren, bei dem die Todesursache der Sängerin geklärt worden war, nachträglich in Frage gestellt. Wobei es am Ergebnis der Untersuchungen nichts auszusetzen gab, wie sich herausstellte. Die Siebenundzwanzigjährige war an einer Alkoholvergiftung gestorben. Im Blut ihrer Leiche wurden 4 , 16 Promille nachgewiesen.
Ein Coroner wird immer dann aktiv, wenn bei einem Verstorbenen die Todesursache nichtnatürlich oder
uncertain
, also zweifelhaft ist. Außerdem wenn der Tod plötzlich, unerwartet oder unter verdächtigen beziehungsweise gewaltsamen Umständen eingetreten ist. Dazu zählen auch Katastrophen und Unfälle. Das Gleiche gilt, wenn jemand bei einem Betriebsunfall stirbt, als Folge einer Berufserkrankung oder auch auf scheinbar natürliche Weise, aber länger als zwei Wochen vor seinem Tod nicht von einem Arzt behandelt wurde. Und dann gibt es noch die Todesfälle in Krankenhäusern, Pflegeheimen, Haftanstalten und im Gewahrsam der Polizei, die vom Coroner untersucht werden müssen – immer und ohne Ausnahme. Dadurch kommt auch der relativ hohe Prozentsatz an Sektionen zustande, der bei etwa fünfundzwanzig Prozent von allen Verstorbenen liegt. Sobald ein Tod als nicht-natürlich einzustufen ist, hat der Coroner keine Wahl – dann muss er eine Obduktion veranlassen.
Ergibt sich bei einem Todesfall der Verdacht auf Fremdeinwirkung, so dass ein Tötungsdelikt in Betracht zu ziehen ist, übernimmt die Mordkommission die Ermittlungen. Sollte der Coroner vorher bereits eine Routinesektion angeordnet haben und ein entsprechender Verdacht erst während derselben entstehen, muss die Obduktion sofort abgebrochen werden. Solche Fälle laufen dann als
special forensic postmortems.
Diese Obduktionen dürfen ausschließlich von Rechtsmedizinern durchgeführt werden, die beim Home Office, dem britischen Innenministerium, akkreditiert sind. Davon
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