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Spuren des Todes (German Edition)

Spuren des Todes (German Edition)

Titel: Spuren des Todes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith O'Higgins , Fred Sellin
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die letzten Obduktionen für diesen Tag, die Leichen zweier Männer. Der eine hatte – wie sich später herausstellte – eine Alkoholvergiftung erlitten, dem anderen war eine Lungenembolie zum Verhängnis geworden. Danach setzte ich mich wieder ins Auto, öffnete das Verdeck, wie ich es mir am Morgen vorgenommen hatte, und fuhr nach Hause.
    Es war Mittwoch. Am Freitag sollte ich wiederkommen, so hatte ich es mit dem Coroner’s Office verabredet. Dann würden sich vielleicht auch die Fragen zur Dekapitation des Motorradfahrers beantworten lassen. Was genau war passiert? Wie schnell war er gefahren? Warum hatte er die Kontrolle über seine Maschine verloren? Und so weiter. Um mir ein Bild über den Unfallhergang machen zu können, würde ich mehr Informationen von der Polizei benötigen. Ich wusste nicht einmal, auf welcher Straße und an welcher Stelle es geschehen war. Gut wäre, wenn die Beamten Fotos vom Unfallort mitbrächten. Das waren so ungefähr die Gedanken, die mir unterwegs dazu in den Sinn kamen.
    Am Abend erzählte ich Dave davon. Ich meinte noch, der Passant, der ihn gefunden hatte, musste sich vorgekommen sein wie in einem Horrorfilm.
    Als ich am Freitag wieder nach Uxbridge in die Mortuary kam, warteten bereits zwei Polizisten auf mich. Genauer gesagt, ein Polizist und eine Polizistin. Sie hatten einen Laptop dabei, mit verschiedenen Fotos von der Unfallstelle. Darauf war eine mehrspurige Straße zu sehen. Das Motorrad lag auf der Fahrbahn, der Torso daneben, der abgetrennte Kopf auf dem Bürgersteig. Ein Zaun trennte Bürgersteig und Fahrbahn. Zwischen den einzelnen Zaunfeldern standen Pfeiler mit schneeballgroßen Metallkugeln obenauf. An einem dieser Pfeiler war der Motorradfahrer enthauptet worden. So erzählten es die Polizisten. Sie sagten auch, er sei nicht zu schnell gefahren. Aber offenbar hatte er getrunken. Mir war am Mittwoch schon aufgefallen, dass die Leiche nach Alkohol gerochen hatte.
    Der Polizist beschrieb die Strecke, die er gefahren war, und Shirley vom Coroner’s Office ergänzte, er sei an dem Morgen aus dem
Ronnie Scott’s
gekommen. Als ich das hörte, stellten sich bei mir alle Antennen auf. Das
Ronnie Scott’s
ist ein bekannter Jazzclub in Soho. Dave hatte da schon häufiger gespielt, eine Zeitlang zweimal die Woche. Früher, als Ronnie, einer der beiden Gründer des Clubs, noch lebte, traten die angesagten internationalen Jazzgrößen dort auf. Inzwischen ist der Laden ziemlich kommerzialisiert, selbst große Jazznamen bekommen kaum Gigs. Crossover aus Funk, Soul, R’n’B und Fusion, hauptsächlich sängerorientiert, stehen wesentlich häufiger auf dem Programm als große Jazzinstrumentalisten. Dementsprechend hat das Publikum nicht mehr viel mit einem echten Jazzpublikum zu tun. Viele gehen nicht so sehr wegen der Musik dorthin, sondern um im berühmten
Ronnie Scott’s
zu sitzen. Die Mieten in der Gegend sind wahnsinnig hoch. Da muss man den Laden jeden Abend irgendwie vollkriegen. Ich schätze, darum geht’s vor allem.
     
    »War er Besucher im
Ronnie’s
?«, fragte ich.
    Shirley sagte: »Nein, er hat da gearbeitet.«
    Die meisten Leute, die dort arbeiteten, kannten Dave und ich. Im Kopf ging ich alle Kellner und Soundleute durch, dann das restliche Personal. Und während ich grübelte, unterbrach Shirley meine Gedanken: »Er war der Hausdrummer.«
    Das
Ronnie’s
hatte eine feste Band, ein Trio – Klavier, Bass, Schlagzeug –, das immer spielte, bevor der Hauptact kam, und dabei nicht selten von Gastmusikern begleitet wurde.
    Mir stockte der Atem: »Chris? Das kann nicht sein! Den hätte ich doch erkannt.«
    Shirley schien erschrocken. Ihre Augen wurden größer und größer. Mit ungläubiger Stimme fragte sie: »Du kanntest Chris?«
    »Na klar. Aber es war nicht Chris!«
    Meine Worte müssen ziemlich entrüstet geklungen haben. Die wollen mich auf die Schippe nehmen, dachte ich. Ein blöder Scherz. Ich fand ihn ziemlich daneben. Das passte auch gar nicht zu Shirley. Jemandem wie ihr war sicher nicht daran gelegen, anderen das Leben schwerzumachen, im Gegenteil. Ich schätzte Shirley auf Mitte fünfzig. Ein mütterlicher Typ, graublondes Haar, praktischer Kurzhaarschnitt, der Körper mit fraulichen Rundungen, die vermuten ließen, dass sie es gern gemütlich mochte. Das strahlte sie auch aus. In ihrer Gegenwart fühlte man sich irgendwie beschützt.
    Ich weiß nicht, was ich noch dachte. Irgendwann spürte ich, wie ihre Hände meine Schultern anfassten. Sie

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