Spurlos in der Nacht
darüber, ob Dienstanfänger gleich in Mordermittlungen eingesetzt werden sollten. Wenn diese Vernehmung zu einem früheren Zeitpunkt stattgefunden hätte, dann hätte der Fall eine ganz andere Entwicklung nehmen können. Cato Isaksen schrieb für Roger Høibakk einen wütenden Zettel und legte ihn auf dessen Schreibtisch.
59
Kathrine wusste nicht, was es war, aber etwas in ihrem Körper schien sich verändert zu haben. Es war so, als könne der das Leben nicht mehr ertragen. Sie hatte jetzt auch wieder Fieber. Sie fühlte sich durch und durch eiskalt und konnte dann auch wieder glühendheiß werden. Anfangs hatte sie versucht, ein wenig zu turnen. War im Zimmer hin und her gelaufen, hatte sich von der Wand abgestützt. Aber ihr Knöchel tat noch so weh, und auch wenn der Gips jetzt entfernt worden war, so war der Knöchel doch immer noch geschwollen. Ihr ganzer Körper tat weh. Sie konnte die Arme fast nicht heben. Vielleicht musste sie jetzt sterben? Sie war davon überzeugt. Sie dachte an ihre Mutter und an Oma und ihren Vater und an Tage. Die Armen! Und sie dachte an die arme Maiken, und an Kenneth.
Offenbar war sie eingeschlafen, denn plötzlich wurde sie von der hellen Stimme geweckt: «Wie geht es dir?»
Die widerwärtige Hand kam auf sie zu und drückte leicht auf ihre Schulter. Ihr schauderte.
«Weißt du noch, was ich voriges Mal gesagt habe?»
«Nein», flüsterte sie. Ihre Stimme hatte fast keine Kraft mehr.
«Bald wird etwas passieren. Es ist doch schon lange nichts mehr passiert.»
Kathrine wusste, was das bedeutete. Bald musste etwas passieren. Das hier konnte ja nicht immer so weiter und weiter und weiter gehen.
Sie war so müde. Offenbar war sie wieder eingeschlafen, denn als sie das nächste Mal erwachte, war alles um sie herum still. Sie setzte sich in der Dunkelheit auf, um sich davon zu überzeugen, dass sie allein war. Sie hatte geträumt, sie sei tot. Dieses Gefühl bohrte sich noch immer wie Stacheldraht durch ihre Gedanken. Wer tot war, konnte nie wieder zurückgezaubert werden. Vom Staub kommst du, zum Staub wirst du zurückkehren. Von der Luft kommst du, zum Stein wirst du werden. Sie lehnte den Rücken an die feuchte Wand. Sie kam sich trotz allem nicht allein vor. Sie versuchte, sich zu erheben. Das tat überall so weh. Sie hatte keine Kräfte mehr. Aber am Ende konnte sie sich an der Wand entlang schleppen und die Glühbirne unter der Decke einschalten. Das Licht strömte über die Wände und tat ihren Augen weh. Sie war allein. Sie kehrte zur Matratze zurück und legte sich wieder hin. Brachte es nicht über sich, die kalte Mahlzeit zu verzehren, die da für sie hingestellt worden war. Sie schlief wieder ein und hörte die Stimmen, die sie so liebte. Das Lachen ihrer Mutter.
Die Mutter lacht und ist froh. Aber ihr Gesicht ist verschwommen, wie ein Fantasiebild. Als existiere die Mutter in Wirklichkeit nicht. Vielleicht existiert auch Kathrine nicht. Sie kann sich keinen Ort und keinen Zustand mehr vorstellen, wo sie existiert. Wenn sie daran denkt, wer sie gefangen hält, dann ist es nicht mehr die Entfernung zwischen ihnen, die ihr Angst macht, sondern die Nähe, die sie empfindet. Manchmal gibt es ein freundliches Lächeln, ganz ohne Bosheit. Das Glück, das sie dann empfindet, ist schrecklich.
Kathrine drehte sich auf den Rücken. Sie lag nicht gern auf dem Rücken. Sie fühlte sich dann unbeschützt, wenn jemand kam. Sie kam sich vor wie eine Schildkröte. Der Rücken war ihr Panzer. Sie drehte sich wieder auf den Bauch. Sie hörte nichts, nur die Stille. Ihr Mund war trocken. Das Tropfen des rieselnden Wassers auf der Toilette war ebenfalls zu einer Art Stille geworden.
60
Cato Isaksen rief um halb neun Uhr die anderen zu einer Besprechung zusammen. Es war jetzt Freitag, der 24. August. Er war zu aufgeregt, um seine Müdigkeit zu bemerken. Alle fanden sich ein, nur Roger Høibakk nicht, der sicher den Zettel gefunden hatte und jetzt schmollte. Nach einer kurzen Zusammenfassung, bei der er die neuen Informationen im Fall Moen vorgestellt hatte, wollte Ingeborg Myklebust sich aber trotzdem weiterhin auf die in Toyen ermordete Frau konzentrieren. Ihr Argument war, dass die neuen Informationen im Fall Moen auch nach dem Wochenende noch untersucht werden könnten. Im Fall Toyen dagegen ging es nur noch um einige wenige Tage, dann wäre der Fall geklärt und könnte an die Staatsanwaltschaft weitergereicht werden.
Cato Isaksen war wütend, als er zu Solveig Wettergren
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