Spurlos in der Nacht
die meisten. Aber konnte das stimmen? Für einen Moment sah er sie vor sich. Ihr Gesicht sah dem von Maiken zur Verwechslung ähnlich. Er sah Maiken vor sich, wenn er an die lebendige Kathrine dachte. Aber sie war vielleicht tot. Lag sie, bis zur Unkenntlichkeit zersetzt, im Wasser, oder war sie irgendwo im Wald, verwest und von Ungeziefer zerfressen?
Am folgenden Tag wollte er gleich nach Vindern fahren und mit Solveig Wettergren sprechen, danach würde er in Akershus Alf Boris Moen mit Frau Adamsens Aussagen konfrontieren. Dass Mutter und Sohn sich gestritten hätten. Dass die Mutter wütend oder vielleicht verängstigt aus dem Haus gestürzt war. Er wollte das mit der Freundin klären. Handelte es sich dabei um Solveig Wettergren? War sie diejenige, die nachts kam und ging, und die an diesem fatalen Märzabend hinter Brenda Moen her über die Straße gelaufen war? Ziemlich kräftig, mit vernünftigen Schuhen. Immer mit vernünftigen Schuhen. Und immer hat sie eine Handtasche über dem Arm hängen.
Solveig Wettergren war doch um vieles älter als Alf Boris Moen. Was konnte das zu bedeuten haben? Verfügte sie über psychotische Züge? War sie vielleicht eine gute Schauspielerin? Er dachte an ihr reizendes Gesicht und an die helle, freundliche Stimme. Sie zog sich gern fein an und gab sich als eine andere aus als sie war. Konnte das stimmen? War sie eigentlich eine andere, als sie zu sein vorgab? Plötzlich sah er ihr Bild klar vor sich. Die Beschreibung einer kräftigen älteren Frau war in zwei weiteren Zeugenaussagen über den Mordabend aufgetaucht. Ein Stück weiter ging eine ältere Frau vorbei. War dabei nicht auch die Rede von gelbweißen Haaren gewesen?
Cato Isaksen setzte sich in den Fernsehsessel, worauf der Kater sich durch die offene Verandatür schlich und auf seinen Schoß sprang. «Du bist schmutzig», sagte Cato Isaksen und strich zerstreut über den weichen Rücken des Tieres. Plötzlich fiel ihm der Geruch ein, den er in Brenda Moens Wohnung wahrgenommen hatte, als Sigrid anrief und ihn vom Tod seiner Mutter informierte. Der Schock hatte sein Gedächtnis natürlich ausgeschaltet. Aber jetzt fiel ihm dieser Geruch plötzlich wieder ein. Süßlich und scharf. Er kam ihm vertraut vor, aber er konnte ihn nicht unterbringen.
Er setzte den Kater auf den Boden und holte sich Papier und Kugelschreiber. Dann nahm er am Esstisch Platz und machte sich an die Arbeit.
Sein Unterbewusstsein versuchte Einzelstücke zusammenzusetzen, Dinge einzusortieren, die andere gesagt oder die er selber registriert hatte. Kleine Belanglosigkeiten, die leicht zu übersehen waren. Er notierte die neuen Informationen und versuchte, sie im Zusammenhang mit den alten zu sehen. Dann stand er auf und lief zweimal ruhelos im Zimmer hin und her. Er wollte schon ein wenig Musik auflegen, überlegte sich die Sache aber anders, ging zum Fenster und lehnte den Kopf an die kalte Glasscheibe. Dann schloss er die Verandatür. Etwas bedrängte seine Gedanken. Sein Gehirn gab sich alle Mühe, um sich an Einzelheiten zu erinnern. An Kleinigkeiten, die jemand gesagt hatte. An Belanglosigkeiten.
Cato Isaksen ging in die Küche und machte sich ein Brot mit Salami. Danach ging er in die Diele und holte die Autoschlüssel. Die Unruhe steckte ihm im Leib und er wusste, dass er sich auch gleich geschlagen geben und in die Stadt fahren könnte.
Es war fünf nach vier Uhr, als er in der Tiefgarage unter dem Polizeigebäude hielt. Er blieb noch eine Weile sitzen, dann stieg er aus dem Auto.
Er steckte seinen Dienstausweis in das Lesegerät und nickte kurz dem Kollegen vom Nachtdienst zu, dann fuhr er mit dem Fahrstuhl nach oben. Er machte auf den Gängen Licht. Die Neonröhren blinkten zweimal, dann brannten sie stetig. Er betrat sein Büro und schaltete den Computer ein. Während der Apparat hochgefahren wurde, trat er ans Fenster und schaute hinaus auf die nachtstille Stadt. Danach setzte er sich an die Vernehmungsprotokolle im Fall Moen. Frau Adamsen tauchte darin nicht auf. Er ging in Roger Høibakks Büro und fand dort den Ordner mit den Notizen. Auch die überflog er rasch. Das Gesuchte fand er nicht. Frau Adamsen hatte gesagt, der junge Polizist, vermutlich der, der das Tonbandgerät besorgt hatte, habe ihren Namen auf einem Zettel notiert, aber im Protokoll war davon nichts zu finden. Roger hatte ihn eingesetzt, es war also seine Verantwortung. Cato Isaksen fluchte leise. In der Abteilung herrschten allerlei Meinungsverschiedenheiten
Weitere Kostenlose Bücher