Spurlos in der Nacht
Isaksen doch, dass er auf einer Spur war.
Vor dem Informationsschalter hatte sich eine kleine Schlange angesammelt. Cato Isaksen wartete ungeduldig. Am Ende konnte er das Warten nicht mehr ertragen und fuhr aufs Geratewohl mit dem Fahrstuhl in den ersten Stock. Dort fand er eine Krankenschwester, die ihm den Weg erklären konnte. Er musste wieder zurück ins Erdgeschoss und von dort mit dem Fahrstuhl in den vierten Stock fahren.
Er ging über den Gang. Hinter einer halboffenen Tür hörte er mehrere eifrige Stimmen. Eine Krankenschwester, die irgendetwas in der Hand hielt, kam aus einem Zimmer zum Vorschein. Sie ging zu einem Schrank und schloss ihn auf. Cato Isaksen blieb stehen und sah ihr eine Weile zu. Sie ordnete und sortierte und ließ Metall und Glas klingen. In dieser Umgebung musste er plötzlich wieder an seine Mutter denken. Obwohl er noch immer mit seinen Gefühlen kämpfte, erkannte er doch auch, dass ihr Tod eine Erleichterung bedeutete. Jetzt brauchte er nicht mehr dauernd ein schlechtes Gewissen zu haben, weil er keine Zeit hatte, um sie zu besuchen. Plötzlich bemerkte ihn die Krankenschwester. Sie kam auf ihn zu und fragte, ob sie ihm helfen könne. Er nannte den Namen des Pathologen. Die Krankenschwester war rundlich und blond und hatte eine leichte Ähnlichkeit mit der jungen Solveig Wettergren. Sie ging vor ihm her über den Gang. Ihre Hüften wogten unter dem weißen Kittel.
Cato Isaksen hatte einen alten Mann erwartet und war überrascht, dass der Pathologe in seinem eigenen Alter war. Knut Rambol hatte sich die Haare mit Wasser gekämmt und trug eine Metallbrille. Er erhob sich und streckte die Hände aus. Er hatte den Untersuchungsbericht bereits herausgesucht.
Cato Isaksen setzte sich in den ihm angebotenen Sessel und schaute sich um. In den Regalen standen graue und blaue Ordner in Reih und Glied. An den Wänden hing eine Abbildung sämtlicher Körpermuskeln.
«Es tut mir Leid, dass ich Sie stören muss», sagte Cato Isaksen.
«Nicht doch. Ich finde das eigentlich ein bisschen spannend, wissen Sie», sagte Knut Rambol. «An diesen Fall kann ich mich sehr gut erinnern. Nicht unbedingt, weil er etwas Besonderes gewesen wäre.» Er rückte seine Brille gerade. «Ich kann mich daran erinnern, weil er einer meiner ersten Aufträge war. Es war kurz nach meinem Examen. Es war meine zweite oder dritte Obduktion, glaube ich. Und in der ersten Zeit an einer neuen Stelle ist man doch so aufnahmebereit für neue Eindrücke. Ja, auf jeden Fall bei dieser Arbeit», fügte er hinzu. «Natürlich ist man ein wenig aufgeregter, um das mal so zu sagen, ehe alles zur Gewohnheit wird.»
«Ihre Bemerkungen von damals, als Sie angedeutet haben, dass auch ein Verbrechen vorliegen könnte, waren leicht übertrieben, wollen Sie das sagen?»
«Das nicht, übertrieben waren sie nicht. Es kommt oft vor, dass wir bei Todesfällen unsere Zweifel haben und die Polizei einschalten.»
«Das ist mir bekannt.»
Der Pathologe nickte. «Sie wissen auch, dass gute Gründe vorliegen müssen, damit ein Fall weiterverfolgt wird. Aber hier hieß es, solche Gründe ließen sich einfach nicht aufzeigen. Wir hatten es mit einem verliebten jungen Paar zu tun. Sie hatten wohl auch schon über Heirat gesprochen. Deshalb passierte damals nichts mehr. Aber ich glaube immer noch, dass ich Recht hatte. Ich glaube, die Frau wurde geschlagen und dann die Treppe hinuntergestoßen», sagte er.
Cato Isaksen starrte den Pathologen an. Es war Freitagnachmittag. An diesem Tag würde er in diesem Fall nichts mehr ausrichten können. Er hob den Blick zum Schaubild an der Wand. Das Licht der Fenster ließ das Glas aufleuchten. Die Muskeln waren rotbraun. Adern und Venen waren in Rot und in Gelb eingezeichnet.
61
Der Hochzeitstag des Kronprinzen begann mit schwerer Bewölkung und Regen in der Luft. Es würde sich auch später nicht wirklich aufhellen. Die Luft war drückend. Cato Isaksen hatte Bente versprochen, dass er früh zu Hause sein werde. Es war zwar Samstag, aber es war trotzdem eine Besprechung zum Fall Toyen angesetzt. Das war eine Besonderheit. Aber am Vorabend war ganz spät noch ein Geständnis abgelegt worden, und das war für die Polizei nun wirklich keine Alltagskost.
Während die Kollegen darüber sprachen, scharrte Cato Isaksen ungeduldig mit den Füßen. Er saß ganz starr da und horchte. Nicht auf die Stimmen der anderen, sondern auf seine eigenen Gedanken. Sein Blick richtete sich auf einen Punkt auf dem Tisch, einen
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