Spurlos in der Nacht
versuchte sich an den Armen hinabzulassen, während seine Hände sich an der Fensterbank festklammerten. Das Herz pochte in seiner Brust. Er spürte, wie der Schweiß ihm über die Stirn lief und wie sein Magen sich vor Übelkeit zusammenkrampfte. Soviel Cowboy hatte er schon lange nicht mehr gespielt. Seine Muskeln zuckten. Er musste loslassen und fiel auf das harte Pflaster. Ein Knöchel tat weh, aber er glaubte nicht, etwas gebrochen zu haben. Er rappelte sich wieder auf. Schaute sich eilig um und hörte plötzlich sich nähernde Polizeisirenen. Vermutlich hatten die nichts mit ihm zu tun, aber das Geräusch machte ihn trotzdem nervös.
Zum Lärm einer blöden Blaskapelle, die noch immer ein Stück entfernt am Werk war, hinkte er weiter und lief dann über den Platz vor dem Museum für Zeitgenössische Kunst. Das laute Lachen einiger Gäste war durch die Tür des Café Engebret zu hören.
Noch immer waren viele Menschen mit Flaggen und Bannern in den Händen unterwegs. Großmütter mit müden Kindern wurden in Cafés und Restaurants gescheucht. Cato Isaksen schloss sein Auto auf, platzierte das Blaulicht wieder auf das Dach, setzte zurück und bog dann in die Universitätsstraße ein. Er konnte sich nicht daran erinnern, ob das eine Einbahnstraße war, aber im Moment war ihm das auch egal. Er fuhr so schnell er konnte durch die Bygdoy Allee und folgte dann dem Drammensvei. Ein Puzzlestück fügte sich jetzt an das andere. Eine Woche, ehe die Postkarte aus Ärjäng gekommen war, hatte er sich Alf Boris Moen etwas energischer vorgeknöpft. Das hatte ihn vermutlich nervös gemacht und er hatte das Gefühl gehabt, die Aufmerksamkeit von sich ablenken zu müssen. Deshalb war er nach Schweden gefahren und hatte die Postkarte eingeworfen, die er Kathrine gezwungen hatte zu schreiben. Auf irgendeine Weise hatte er auch in Erfahrung gebracht, dass André Hansens Live-Gruppe in Rakkestad spielen wollte. Und problemlos hatte Moen hinfahren und von Kathrines Telefon aus eine Mitteilung schicken können.
Cato Isaksen bog bei Sandvika ab und fuhr dann weiter in Richtung Tanum. Auf dem Sitz neben ihm lag die in Moens Büro gefundene Karte.
75
Alf Boris Moen drehte sich um. Seine Schwester war in der Dunkelheit verschwunden. Wie weit mochte sie hinter ihm sein? Versuchte sie trotz allem wegzulaufen? Er dachte, er könne wild um sich schießen, dabei würde er sie dann sicher treffen, aber er wusste nicht, wieviel Schuss er noch hatte. Plötzlich blieb er stehen und horchte mit erhobenem Gesicht. Er versteckte sich hinter einem Baumstamm und wartete. Zwei Spaziergänger näherten sich. Und dann entdeckte er seine Schwester, die versuchte, sich an ihm vorbeizuschleichen. Blitzschnell zog er einen Knebel aus der Tasche und presste ihn über ihren Mund. Dann zwang er sie zu Boden und richtete die Pistole auf sie. Helena leistete keinen Widerstand.
«Meine Liebe», sagte der Bruder leise und zischend. «Jetzt kommt es darauf an. Niemand darf mir jetzt noch alles verderben. Nicht jetzt, wo ich fast am Ziel bin.» Helena schloss die Augen. Ihr kam ein neuer Gedanke. Er konnte sie jetzt nicht erschießen, denn dann würden die Spaziergänger es hören und die Polizei alarmieren. Und Alf Boris wäre damit entlarvt. Plötzlich ging ihr auf, dass sie damit ein wenig Zeit gewonnen hatte.
«Sie werden glauben, dass hier ein Jäger auf Wild geschossen hat», sagte er plötzlich und schien ihre Gedanken gelesen zu haben.
Sie schloss die Augen. Nichts passierte, deshalb machte sie sie wieder auf. Er gab ihr ein Zeichen aufzustehen. Er streckte die Hand aus und zog sie hoch. Sie war bis auf die Haut durchnässt und der Knebel saß noch immer fest. Er hielt sie mit harter Hand fest, bis die Spaziergänger auf dem schmalen Weg verschwunden waren. «Du sollst zuerst noch Kathrine sehen», sagte er boshaft und fesselte ihre Handgelenke und die Knöchel.
76
Cato Isaksen hielt an und griff nach der Karte. Er faltete sie auf dem Lenkrad auseinander. Sein Blick wanderte über die Landschaft. Er versuchte sich vorzustellen, wo genau der Bunker liegen könnte. Er kannte sich in dieser Gegend nicht sonderlich gut aus. Der Karte konnte er entnehmen, dass die Straße nicht ganz hinführte. Das Versteck musste zwischen zwei Felskuppen bei einem kleinen See liegen, vermutlich wurde es von den umstehenden Bäumen fast ganz verdeckt.
Er fuhr ein kleines Stück weiter. Die Straße war uneben. Die Autoscheinwerfer zeigten die mit schmutzigem Wasser
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