Spurlos in der Nacht
harter Stimme.
Kenneth Hansen gab keine Antwort. Er starrte eine Stelle auf dem Fußboden an.
«Das hast du also nicht gewusst?»
«Nein», sagte der Junge.
Cato Isaksen musterte ihn und überlegte sich seine nächste Frage. Etwas am Verhalten des Jungen erregte sein Misstrauen.
«Was ist mit Drogen?», fragte er.
«Nichts, Scheiße. Damit haben die anderen Polizisten auch rumgequengelt. Ich trinke Bier, vielleicht auch mal ein Glas Schnaps, aber Drogen. Nein, Scheiße.»
«Wie gut glaubst du Kathrine zu kennen?»
«Ich weiß nicht.» Kenneth Hansen setzte sich wieder gerade. «Sie pfuscht aber auch nicht mit Stoff rum, falls Sie das meinen sollten. So sind wir nicht.»
«Na gut. Und wie seid ihr?»
Kenneth Hansen musterte ihn mit leerem Gesicht. Was sollte das denn für eine Frage sein. Er dachte ausgiebig nach. «Weiß nicht», sagte er schließlich. Die restlichen Antworten bestanden ebenfalls fast alle aus «ich weiß nicht». Er habe keine Ahnung, was mit Kathrine passiert sein mochte. Er habe ihr am fraglichen Abend nichts angemerkt. Er wisse nichts. Ganz einfach rein gar nichts.
«Und wo warst du gestern abend?»
«Gestern abend?» Kenneth Hansen erbleichte. Plötzlich ging ihm auf, dass der Polizist ihn des Mordes an Kathrines Großmutter verdächtigte. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Seine Stimme blieb ihm im Hals stecken. Es war einfach zu entsetzlich.
Cato Isaksen sah seinen Kollegen an, der während des gesamten Gesprächs recht passiv geblieben war. Jetzt meldete er sich endlich zu Wort.
«Fällt es dir schwer, uns das zu sagen?»
«Nein. Ich hab nichts Besonderes gemacht», sagte Kenneth Hansen nervös.
«Warst du hier?»
Der Junge zuckte mit den Schultern. «Mal hier, mal da», sagte er.
«Was soll das denn nun wieder heißen?»
«Wir sind ein bisschen durch die Gegend gefahren. Ich und ein Kumpel.»
«Wie heißt der?»
«Lars Lofthus.»
«Den ganzen Abend?»
«Nein. Wann wurde sie ermordet?»
«Wann warst du zu Hause?»
Kenneth Hansen schluckte. «So gegen elf, glaube ich.»
Cato Isaksen schaltete sich ein. «Kann irgendwer das bezeugen?»
«Meine Mutter», sagte Kenneth Hansen gereizt. «Und Lars natürlich. Und jetzt will ich diesen Scheiß nicht mehr beantworten müssen.» Er verzog unwillig das Gesicht. Die Fahnder sahen ein, dass sie hier vorerst nicht weiterkommen würden.
«Wir würden dich gern so schnell wie möglich zum offiziellen Verhör bestellen», sagte Cato Isaksen. Er hatte mit einer anderen Reaktion des Jungen gerechnet. «As you like it», sagte Kenneth Hansen kurz und suchte dann fieberhaft nach der Fernbedienung.
4
Mai Britt Hansen sass am Küchentisch, als sie aus dem Keller kamen. Im Licht, das durch das Fenster fiel, konnte man deutlich sehen, dass sie stark geschminkt war, doch ihre dicken Tränensäcke waren ebenso sichtbar. Vor ihr auf dem Tisch stand eine unberührte Tasse Kaffee.
«Sie arbeiten nicht?» Cato Isaksen hob abwehrend die Hände, als sie aufstehen wollte. «Bleiben Sie doch sitzen», sagte er.
«Ich arbeite schichtweise. Hab heute Spätdienst.» Rasch und nervös nahm sie einen Schluck Kaffee. «Bitte», sagte sie flehend. «Quälen Sie Kenneth nicht mehr so. Er ist seit Wochen nicht mehr er selbst. Ich kann bald nicht mehr», fügte sie hinzu.
«Haben Sie noch andere Kinder?», fragte Cato Isaksen ruhig.
«Noch zwei Söhne», sagte sie und fuhr mit dem Finger über das braunkarierte Wachstuch. «Das ist nicht immer so leicht», sagte sie dann noch. «Drei Jungen, meine ich.»
«Da kann ich Ihnen nur zustimmen.» Cato Isaksen lächelte. «Ich habe selber drei Jungen. Leben Sie mit Ihren Kindern allein?», fügte er hinzu.
Sie nickte rasch. «Ja, seit sieben Jahren.»
Kenneth Hansens ältester Bruder, Stein Ove, war beim Militär.
«Der Zweitälteste, André, geht noch zur Schule und jobt im Seven-Eleven-Kiosk unten bei der Tankstelle», erzählte die Mutter stolz. «Sie arbeiten also und gehen in die Schule.»
«Und Kenneth, was macht der?»
«Der geht auch in die Schule, Leistungskurs Tischlerei. Das liegt ihm sehr. Er ist stark.» Sie lächelte stolz. «Aber seit einigen Tagen fühlt er sich nicht so ganz wohl. André macht alle möglichen Kurse. Er ist sehr tüchtig.»
«War Kenneth letzte Nacht zu Hause?» Roger Høibakk, der sich bisher zurückgehalten hatte, trat an den Küchentisch.
«Natürlich», sagte Mai Britt Hansen rasch. «Was soll diese Frage?»
«Nichts», erwiderte Cato Isaksen beruhigend.
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