Spurlos in der Nacht
«Sowas fragen wir wirklich alle.»
«Ja, das nehme ich an», sagte sie kurz. «Sie sind alle drei liebe Jungs.» Sie erhob sich halbwegs und öffnete das Fenster einen Spaltbreit. Sie konnten hören, dass ein Wagen vorfuhr und vor der Haustür hielt. Der Motor lief kurz im Leerlauf und wurde dann ausgeschaltet.
«Seine Freunde», sagte Mai Britt Hansen und stand auf. «Sie versuchen immer, ihn zu trösten.» Es wurde kurz geklingelt. Mai Britt Hansen rief, «kommt rein», und zwei Jungen von vielleicht achtzehn öffneten die Tür. Sie begrüßten die Mutter und die Fahnder rasch, streiften dann die Schuhe ab und rannten die Kellertreppe hinunter.
«Wie heißen sie?» Cato Isaksen wandte sich wieder der Mutter zu.
«Lars und Haakon», sagte die kurz.
«Und was noch, außer Lars und Haakon?»
«Lars Lofthus», sagte sie. «Haakons Nachnamen kenne ich nicht.»
«Wem gehört der Wagen?»
«Lars. Der ist wohl sehr hilfsbereit. Kutschiert alle, wohin sie wollen.»
Cato Isaksen bedankte sich und sagte, sie würden vielleicht noch einmal kommen. Als er die Haustür erreicht hatte, drehte er sich wie zufällig um und fragte, wann Kenneth am letzten Abend nach Hause gekommen sei.
«Gegen elf», erwiderte Mai Britt Hansen wie aus der Pistole geschossen und starrte ihn aus ihren dunklen Augen an. Cato Isaksen hielt ihrem Blick so lange stand, dass sie sich am Ende abwandte und sich am Küchentisch zu schaffen machte.
Roger Høibakk notierte die Nummer des alten angerosteten Ford Transit, mit dem die Freunde gekommen waren. Dann stiegen sie in den zivilen Streifenwagen und fuhren nach Oslo zurück.
5
Die Abteilung arbeitete wie besessen, um Informationen über den Mord und das Verschwinden des Mädchens zusammenzutragen. Es waren viele Hinweise von Leuten eingetroffen, die Kathrine Bjerke gesehen haben wollten. Die Kollegen aus Folio gingen diesen Hinweisen nach. Abteilungsleiterin Ingeborg Myklebust betrachtete die kleine Versammlung, sie waren zu zwölft. Sie hatte Cato Isaksen ein wenig feierlich gebeten, im Fall Brenda Moen die Fahndungsleitung zu übernehmen. Ihre Art ging ihm auf die Nerven, sie stellte es dar wie eine Ehre, für die er dankbar sein sollte. Sie hatte ihre rosa Jacke ausgezogen und über einen Stuhl gehängt. Unter dem Pullover zeichneten sich ihre Brüste deutlich ab. Cato Isaksen konnte sich nicht von dem Gedanken losreißen, dass die eine Brust nicht echt war. Er fragte sich, wie sie wohl ohne Kleider aussehen mochte.
Randi Johansen versetzte ihm einen Rippenstoß.
«Denk an Georg», sagte sie. «Daran sollte ich dich doch erinnern.»
Cato Isaksen nickte ihr dankbar zu und schaute auf die Uhr. In einer Dreiviertelstunde musste er den Kleinen im Kindergarten abholen. Wenn er das nicht schaffte, würde wieder die Hölle losbrechen. Die Kindergartenleitung würde Sigrid anrufen, und die würde versuchen, ihn per Handy zu erreichen. Hamza, Sigrids neuer Mann, würde sich einmischen und ihm erklären, wie ein guter Vater sich zu verhalten habe. Und diesen ganzen Blödsinn könnte Cato Isaksen nicht ertragen. Bente hatte an diesem Tag frei und wollte eine Freundin besuchen, ihr wollte er das also nicht zumuten. Sie hatte ihm schon sehr oft geholfen, wenn es um Georg ging. Aber er konnte doch wie in der vergangenen Woche den Jungen von einem Taxi abholen lassen.
Ingeborg Myklebust musterte ihn, während sie sprach. Sie kannte Cato Isaksens abwesende Miene. Sie wollte gerade um irgendeinen Kommentar bitten, als er aufsprang. Er entschuldigte sich damit, dass er telefonieren müsse. Dann lief er auf den Gang hinaus, rief in der Rezeption an und bat eine der Damen dort unten, Georgs Transport in die Wege zu leiten.
Als er ins Besprechungszimmer zurückkehrte, fing er sich einen irritierten Blick von Ingeborg Myklebust ein. Asle Tengs beugte sich über den Tisch.
«Wir haben noch einmal mit dem jungen Paar aus dem Nachbarhaus gesprochen», sagte er. «Und zwei Autofahrer haben sich gemeldet, nur fährt keiner einen dunklen BMW.»
«Die ältere Dame, die kurz vor oder nach dem Mord in der Gegend gesehen worden ist, hat die sich gemeldet?» Randi Johansen bückte sich und kratzte sich am Knöchel.
«Zwei Frauen haben angerufen.» Asle Tengs wühlte in seinen Papieren. «Aber keine passt zu der Beschreibung der Person, die kurz nach dem Mord gesehen worden ist. Und keine der beiden hat Schüsse gehört, sagen sie. Sie können auch nicht genau sagen, wann sie am Tatort vorüber gegangen
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