Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spurlos in der Nacht

Spurlos in der Nacht

Titel: Spurlos in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unni Lindell
Vom Netzwerk:
traurig die Augen. «Damals War ich achtundzwanzig, jetzt bin ich fast fünfzig.» Rasch schüttelte er den Kopf, wie um sich von dieser Erinnerung zu befreien. «Warum haben Sie Mutters Wohnung versiegelt?», fragte er dann. «Sie ist doch auf der Straße ums Leben gekommen.»
    «So machen wir das eben», sagte Randi Johansen. «Da haben wir unsere Vorschriften.»
    «Was glauben Sie, was passiert sein kann?», fragte Cato Isaksen und trank einen Schluck heißen Kaffee.
    Der Mann im Sessel schwieg. Er stellte seinen Becher auf den Tisch, ließ sich zurücksinken und schluckte. Seine Mundwinkel vibrierten ein wenig, die runden Wangen zitterten. Cato Isaksen unterdrückte einen lautlosen Seufzer. Er konnte nicht mit erwachsenen Männern umgehen, die weinten. Im Laufe der Jahre hatte er es mit zahllosen Angehörigen zu tun gehabt. Hatte gesehen, wie sie sich über das Opfer beugten, das noch vor kurzer Zeit ein lebender Mensch gewesen war, eine Mutter, ein Vater, ein Ehepartner, oder, schlimmer noch, ein Kind. Er dachte an das Absurde an der Zeit, die sich mit dem toten Menschen immer weiter entfernte. Einige Angehörige riefen und schrien, als seien sie verletzt worden. Andere saßen steif und starr da und schienen in ihren Körpern nicht einmal mehr vorhanden zu sein.
    «Das ist so viel ...», begann Alf Boris Moen mit zitternder Stimme. «Vor allem ist es ein schrecklicher Schock. Eine entsetzliche Tragödie. Ich glaube, ich habe es noch nicht ganz begriffen. Dass es möglich ist, hier erschossen zu werden, im friedlichen Ullevål Hageby, meine ich.»   
    Randi Johansens Telefon klingelte. Sie stand auf und ging in den Flur.
    «Ich war gestern nicht bei der Arbeit», sagte Alf Boris Moen jetzt.   
    «Das ist verständlich. Was machen Sie im Verteidigungsministerium?»
    «Ich arbeite im Archiv. Schon seit einundzwanzig Jahren.»
    Cato Isaksen warf einen Blick aus dem Fenster. Randi Johansen kam wieder herein.
    «Privat», sagte sie und zeigte auf ihr Telefon.
    «Ich mache mir solche Sorgen um meine Schwester. Sie steht kurz vor einem Zusammenbruch, die Arme. Könnten Sie nicht versuchen, sie von diesen langen Suchaktionen abzubringen?»
    «Wir werden uns alle Mühe geben», versprach Cato Isaksen. «Wir werden mit den Kollegen aus Folio und der Kripo zusammenarbeiten», sagte er. «Es sind zwar zwei verschiedene Fälle, aber sie gehören ja doch irgendwie zusammen.»
    «Sie geht immer wieder von Neuem los. Aber was, wenn sie sie plötzlich findet? Das darf nicht passieren!» Alf Boris Moen bat um Entschuldigung, ging hinaus und verschwand im Wohnzimmer. Als er zurückkam, baten sie ihn, den Bekanntenkreis und die Gewohnheiten seiner Mutter zu beschreiben. Es stellte sich heraus, dass die Mutter eine ganz normale Rentnerin gewesen war, ohne Feinde und mit niemandem zerstritten.
    «Mutter war ungewöhnlich umgänglich», sagte er. «Und tolerant und ordentlich. Hat immer ihre Verabredungen gehalten. Nie viel von sich her gemacht. Ging ab und zu zum Bingo und hatte einige wenige gute Freundinnen.»
    «Keinen Mann irgendwo im Hintergrund?»
    Alf Boris Moen lächelte.
    «Absolut nicht», sagte er energisch. «Mein Vater ist schon viele Jahre tot, und einen anderen Mann hat es nie gegeben. Dazu war sie einfach nicht der Typ. Es kam vor, dass ein paar Bengel sie schikanierten, aber das haben sie mit allen alten Damen hier in der Gegend gemacht. Es gibt hier nicht so viele alte Leute, wissen Sie. Junge Familien sind hergezogen, und damit hat die Gegend sich sehr geändert. Früher war es hier sehr still. Jetzt wimmelt es hier von Kindern und Skatern und allem Möglichen. Sie haben ihre großen Hüte mit Apfelsinenschalen, Steinchen und Papierkugeln beworfen. Diese Knaben nenne ich einfach nur Teufelsbrut. Ich habe sie zwei-, dreimal zur Rede stellen wollen, aber da sind sie auf ihren Rollbrettern abgehauen.»
    Cato Isaksen bat ihn, ein wenig über diesen Verein seiner Mutter zu erzählen. Alf Boris Moen holte tief Atem.
    «Es ist ein royalistischer Club, so haben sie sich selber genannt. Sie war königstreu durch und durch.» Die Lippen des Sohnes verzogen sich zu einem kleinen Lächeln. «Sie wusste alles über die königliche Familie. Sie sollten mit ihren Freundinnen sprechen, Tulla Henriksen und Solveig Wettergren. Das sind liebe, verschrobene alte Damen.»
    Cato Isaksen bat, die Toilette benutzen zu dürfen. Der viele Kaffee machte das notwendig. Er schloss die Tür hinter sich. Alles war glänzend sauber und

Weitere Kostenlose Bücher