Spurlos in der Nacht
Küche. Sie war ein großer eckiger, aber trotzdem leichtfüßiger Mensch. «Setzen Sie sich doch», sagte sie freundlich. Trotz des Schocks, den der Verlust der Freundin für sie bedeuten musste, schienen die beiden Damen sich absolut unter Kontrolle zu haben.
Randi und Cato setzten sich in die tiefen Sessel, die zur Sitzgarnitur gehörten. Tulla Henriksen rief aus der Küche etwas über Tee, und die Gäste nahmen dankend an.
Solveig Wettergren brachte eine Plätzchenschüssel.
«Ich begreife einfach nicht, dass jemand sie erschießen konnte. Sowas liest man doch in den Zeitungen, über Uberfälle und Mord und Diebstahl. Aber uns scheint das alles nichts anzugehen. Oder vielleicht doch», fügte sie besorgt hinzu. «Wir haben eben noch darüber gesprochen. Ist es möglich, dass es jemand auf unseren Club abgesehen hat?»
Cato Isaksen unterdrückte ein kleines Lächeln. «Das glaube ich nicht», sagte er.
«Das mit der verschwundenen Enkelin.» Randi Johansen wollte jetzt zur Sache kommen.
«Das war entsetzlich.» Solveig Wettergren musterte ihre Hände. «Das ist entsetzlich», korrigierte sie sich.
«Brenda hat das mit Kathrine ungeheuer schwer genommen. Sie war ein reizendes Mädchen», sagte Tulla Henriksen aus der Küchentür. «Wir haben beide keine Enkelkinder.» Sie nickte kurz zu ihrer Freundin hinüber.
«Nein, woher auch, wo wir auch keine Kinder haben», sagte Solveig Wettergren aufgesetzt säuerlich.
«Wir haben sie fast beneidet. Wir wissen, dass uns da einiges entgeht.» Tulla Henriksen schaute ihre Freundin Einverständnis heischend an. «Brenda ist in den zwei Wochen seit Kathrines Verschwinden um zehn Jahre gealtert. Ich glaube, sie hat danach nicht eine einzige Nacht geschlafen.»
«Wir sind nicht abergläubisch.» Tulla Henriksen hob ihre dünnen Hände und schlug sie vorsichtig gegeneinander. «Aber da konnte man sich ja fast schon Gedanken machen. Brenda hatte in der Diele einen großen alten Spiegel hängen. Einige Tage vor Kathrines Verschwinden ist der plötzlich heruntergefallen und zerbrochen. Es war so ein schöner alter Spiegel, Sie wissen schon, mit geschnitztem Rahmen und einem geschliffenen Rand.»
«Wieso ist der heruntergefallen?» Cato Isaksen zog sein klingelndes Telefon aus der Jackentasche. Er schaltete es aus. Jemand rief von zu Hause aus an. Sicher Vetle. Er würde zurückrufen, wenn das Gespräch mit den beiden alten Damen hinter ihnen lag.
«Vielleicht wollten sie ihn anderswo hinhängen, das weiß ich nicht. Glaubst du, dass sie ihn anderswo hinhängen wollten?» Sie schaute ihre Freundin an, und die zuckte mit den Schultern. «Sie können doch Alf danach fragen. Ein zerbrochener Spiegel bedeutet sieben Jahre Unglück», sagte Tulla Henriksen dramatisch. «Das ist eine fast unheimliche Vorstellung.»
«Wann haben Sie Brenda Moen zuletzt gesehen?» Randi Johansen notierte die Antworten der Damen auf einem kleinen Block.
«Am vorigen Samstag. Wir waren bei ihr. Sie mochte einfach nicht aus dem Haus gehen, die Arme, aber wir hatten das Gefühl, dass unser Besuch ihr gut tat. Immerhin kam sie doch auf andere Gedanken.»
«Haben Sie sich nur zu den Clubabenden getroffen?»
«Nein, manchmal auch zum Bingo. Und einige Male war sonntags sogar Alf dabei.»
«Wissen Sie jemanden, der Brenda Moen übel gesinnt war?»
Die beiden Freundinnen wechselten einen Blick. «Mir fällt niemand ein», sagte Tulla Henriksen.
«Mir auch nicht», sagte Solveig Wettergren, zog ein zerknülltes Taschentuch hervor und betupfte sich damit die Augen. «Aber die Gedanken gehen ja oft ihre eigenen Wege, nicht wahr? Wir halten uns für sicher. Wir gehen über eine Straße und plötzlich leben wir nicht mehr.»
Tulla Henriksen verteilte Teetassen und Teller mit Rosenmuster auf dem braunen, abgenutzten Couchtisch. «Brenda war in gewisser Weise unsere Clubleiterin. Haben Sie ihre Wohnung gesehen?»
Cato Isaksen schüttelte den Kopf. «Noch nicht, aber die Kollegen waren dort.»
«Ich war da», sagte Randi Johansen.
«Das ist nicht wie hier», erklärte Tulla Henriksen hektisch und streckte demonstrativ den Arm aus. Plötzlich fielen Cato Isaksen die vielen Bilder der Königsfamilie auf, die an der Wand hingen.
«Die stammen aus Zeitschriften, und ich habe sie rahmen lassen.» Tulla Henriksen lief wieder in die Küche und brachte eine Teekanne. «Aber Brenda hatte echte Bilder», fügte sie hinzu.
«Geerbt», sagte Solveig Wettergren leise. Die Sonnenflecken waren weiter gewandert und
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