Spurlos in der Nacht
«Allein in Oslo sind 728 Waffen auf Abwege geraten. Und zwar automatische Gewehre vom Typ AG 3, Maschinenpistolen vom Typ MP-5 und dann noch eine Reihe Glock-Pistolen. Vor zwei Wochen ist in ein Waffenlager in Rud in Basrum eingebrochen worden, aber wir wissen ja, dass immer wieder Waffen aus solchen Lagern verschwinden und nie wieder auftauchen. Am 9. Februar sind am Fliegerhorst Rygge zwei Waffen vermisst gemeldet worden. Da draußen schwimmt ein ganzer Ozean von Waffen herum.»
«Da könnten wir auch nach der berühmten Nadel im Heuschober suchen», sagte Roger Høibakk und gähnte.
«Haufen», korrigierte Randi Johansen. «Heuhaufen.»
Roger antwortete mit einer Grimasse.
«Vielleicht sollten wir uns nicht zu sehr auf die Militärszene konzentrieren», sagte Randi dann. «Wir wissen doch, dass diese Waffen in alle möglichen Szenen weiter verkauft werden. Drogenszene, Zuwanderer, überall.»
«Vielleicht hast du Recht. Aber ich will alles über den Bekanntenkreis von Kathrine und ihrer Großmutter wissen. Vor allem über Leute, die auf irgendeine Weise etwas mit dem Militär zu tun haben», sagte Cato Isaksen und schaute sich im Raum um. «Preben, du schaust dir Alf Boris Moens Umgebung gründlich an, beruflich und privat. Thorsen, du nimmst dir Kathrine Bjerkes Kreis vor, und zwar absolut alles. Väter von Freundinnen, die bei der Heimwehr sind, Nachbarn, Arbeitskolleginnen der Mutter und des Stiefvaters, ihr wisst schon.»
Die Pressekonferenz verlief problemlos, und für den Rest des Tages wurde in kleinen Gruppen gearbeitet. Cato Isaksen beschloss Brenda Moens Freundinnen zu besuchen. Er hatte sich bereits telefonisch mit einer verabredet, und die wollte der anderen Bescheid sagen.
Während er auf Randi Johansen wartete, überkam ihn wieder seine vertraute Unruhe. Der Fall war noch so neu, dass er nicht glaubte, ihn im Griff zu haben. Es gab keine konkreten Anhaltspunkte. Er ging hinaus auf den Flur und entdeckte Ellen Grue. Sofort wandte er sich ab und verschwand wieder in seinem Büro.
Er hörte, dass Randi mit einem der Skater in einem Verhörraum saß. Die beiden anderen warteten auf dem Gang.
Cato Isaksen klopfte leise an die Tür. Er nickte der Kollegin zu, deren Spezialität die Vernehmung von Jugendlichen war.
«Hallo», sagte er und begrüßte den Jungen kurz. «Wie geht's?»
«Das stimmt nicht», sagte der. «Wir haben niemals alte Damen mit Apfelsinenschalen beworfen.» Er wirkte aufrichtig betroffen. «Wir sind auch nicht die einzigen Skater in der Gegend», fügte er hinzu. «Aus der ganzen Stadt kommen Leute zur Rampe auf dem Damplass.»
«Viele ärgern sich über den Lärm, den ihr dabei macht, nicht wahr», sagte Cato Isaksen mit einem Lächeln. «Dürft ihr wirklich so spät noch unterwegs sein? Mittwoch war doch ein ganz normaler Werktag.»
«Eigentlich nicht», sagte der Junge mit düsterer Miene.
8
Tulla Henriksen wohnte in einem heruntergekommenen Mietshaus in der Waldemar-Thranes-Gate. Als Cato Isaksen geklingelt hatte, wurde die Tür sofort geöffnet. Offenbar wurden sie schon erwartet. Cato Isaksen stellte Randi Johansen und dann sich selber vor.
«Kommen Sie herein», sagte die alte Dame hektisch. «Solveig ist auch schon da. Bitte, kommen Sie herein.» Im Hintergrund war eine Radiostimme zu hören. Cato Isaksen streifte die Schuhe ab und ging langsam ins Wohnzimmer.
Ein süßlicher, Ekel erregender Geruch strömte ihnen entgegen.
«Ich brate Fischfrikadellen in guter Butter», sagte Tulla Henriksen zur Erklärung und verschwand in dem Raum, in dem die Gäste die Küche vermuteten.
Solveig Wettergren musterte die Neuankömmlinge mit ernster Miene. Sie war eine kräftige Frau mit einem hübschen, gepuderten Puppengesicht und hellblonden, fast weißen Dauerwellen. Die Sonne, die von einem offenen Fenster im Haus gegenüber reflektiert wurde, malte kleine längliche Flecken an die Wand. Die Sonnenflecken spielten auch über ihre bleichen Haare. Ihr weinrotes blankes Kleid betonte ihre grelle Schminke. Tulla Henriksen war ihr genauer Gegensatz, dünn und runzlig, mit großer Brille und dünnen, grauen ungepflegten Haaren. Sie trug eine weite Hose und einen braunen, unkleidsamen Pullover.
«Wir waren wirklich wie gelähmt», sagte Solveig Wettergren und schaute irritiert in Richtung Küche, wo die Freundin noch immer mit Geschirr klapperte und etwas rief, was sie nicht hören konnten. «Alfs Anruf war ein entsetzlicher Schock», sagte sie und ging zur
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