Spurlos in der Nacht
zu suchen?
«Ich glaube, wir sind hier fertig», sagte er. Er zwang sich dazu, ihren Mund anzusehen. Das fiel ihr natürlich auf. Sie sah, wie müde er wirkte. Sie wollte das nicht sehen. Sie wandte sich ab und ging zur Tür.
Im Treppenhaus fand Cato Isaksen das Loch des Hakens, an dem der zerbrochene Spiegel wohl gehangen hatte. Er fand auch eine winzige Spiegelscherbe, die sich unter der untersten Treppenstufe verkeilt hatte. Er hob sie auf und steckte sie in die Tasche.
Die beiden Wohnungen auf der anderen Seite des Hauses waren von einem älteren und einem jüngeren Ehepaar bewohnt. Keins von beiden konnte neue Informationen liefern.
Die junge Frau im Garten erzählte, dass sie und ihr Mann erst seit einem Jahr hier lebten. Sie hatten kaum je mit Brenda Moen und ihrem Sohn gesprochen. «Wir haben ein Baby», sagte die Frau und nickte zu einem Kinderwagen hinüber, der auf dem Kiesweg stand. «Sie nimmt all unsere Zeit in Anspruch. So ist das einfach. Ich hab zu nichts mehr Kraft», fügte sie hinzu.
Dem älteren Ehepaar im Erdgeschoss war nichts Besonderes aufgefallen. «Wir haben uns ab und zu über den Gartenzaun hinweg unterhalten», sagte der schmächtige kleine Mann. «Das war alles. Das Haus ist absolut nicht hellhörig, und wir können uns über nichts beklagen. Brenda war eine nette, unproblematische Nachbarin. Alf ist ein feiner Bursche. Er hält hier alles in Ordnung.»
Auf der Rückfahrt zur Wache hatte Cato Isaksen das Gefühl, in der Wohnung trotz allem etwas vergessen zu haben. Etwas stimmte nicht. Für einen kurzen Moment wollte dieses kleine Detail sich in seinem Gedächtnis festsetzen, dann war es schon wieder verschwunden. Vielleicht hatte Ellens Anwesenheit ihn gestört. Das war der Nachteil dabei, wenn man sich mit einer Kollegin einließ. Sie fuhren nicht im selben Auto. Ellen hatte gleich danach einen Termin. Cato Isaksen sah sie kurz im Rückspiegel. Er zwang sein Gehirn dazu, Bilder der Möbel und Ziergegenstände hervorzubringen, aber die Erinnerung war verflogen. Er empfand nur den klaren kleinen Schmerz, der immer kam, wenn er an Ellen dachte. Er schob die Hand in die Tasche und berührte die scharfe Spiegelscherbe. Dann legte er wieder beide Hände auf das Lenkrad.
Als er in sein Büro zurückkam, suchte er sich Rogers Bericht heraus, in dem stand, dass der alte Spiegel durch einen unglücklichen Zufall von der Wand gefallen war. Brenda Moen hatte ihn angestoßen, worauf er heruntergefallen und zerbrochen war. Er hatte dort seit vielen Jahren gehangen. Es konnte sich einfach um Materialermüdung gehandelt haben.
Moen bestätigte außerdem, dass er eine Stunde, ehe sie am 20. Februar zum letzten Mal gesehen worden war, mit Kathrine telefoniert hatte. Sie hatten dabei über nichts Besonderes gesprochen. Moen sagte, Kathrine habe gern einfach so angerufen. Sie hatte keinerlei Probleme erwähnt. Das stimmte auch mit den anderen Berichten überein. Kathrine hatte oft noch abends spät nur so mit ihrer Großmutter und ihrem Onkel telefoniert. Der Bericht war unterschrieben mit R. H.
14
Kenneth Hansen wartete schon auf dem Flur, als Cato Isaksen von der Morgenbesprechung kam. Er lehnte an der Wand und sein ganzer umfangreicher Körper zeigte, dass er sich kein bisschen wohl fühlte in seiner Haut.
«Komm rein», sagte Cato Isaksen und führte ihn in einen der kleinsten Verhörräume. Kenneth Hansen ging hinein und setzte sich auf einen Stuhl.
Cato Isaksen machte sich an dem kleinen Tonbandgerät zu schaffen. «Ich gehe davon aus, dass dich das nicht stört», sagte er.
Kenneth starrte ihn wütend an. Dann nickte er kurz und schluckte. Sein Adamsapfel bewegte sich deutlich unter der dünnen Haut seines Halses.
«Gehst du nachher zu Brenda Moens Beerdigung?», fragte Cato Isaksen als Erstes.
Kenneth Hansen nickte. «Ja», sagte er. «Ich bin mit den anderen vor der Kapelle verabredet.»
«Als wir neulich bei dir waren, hast du gewusst, dass Kathrines Großmutter erschossen worden war», erklärte Cato Isaksen dann plötzlich. «Maiken Stenberg sagt, sie habe es dir am Telefon erzählt. Und da möchte ich doch fragen, warum du behauptet hast, das nicht zu wissen.»
Kenneth Hansen schien aus allen Wolken zu fallen. Er schaute Cato Isaksen verwirrt an und sagte dann, er habe es in der Zeitung gelesen.
«Im Dagbladet stand, es sei ein Handtaschenräuber gewesen», sagte er. «Sie sei wegen ihres Kleingeldes umgebracht worden.» Cato Isaksen nickte unmerklich. «Aber das stimmt
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