Spurlos in der Nacht
Høibakk lachte. «Das sieht aus wie ein Stück moderne Kunst», sagte er.
«Wir sehen oft Trolle und Vampire, wenn wir einen Mörder suchen», sagte Asie Tengs ruhig. «Aber in der Regel haben wir es doch mit einem normalen Menschen zu tun. Das wissen wir alle.»
Die anderen nickten.
«Na gut», sagte Ingeborg Myklebust ein wenig nachdenklich. «Dann macht erst mal so weiter. Aber vergesst nicht, alles mit den Kollegen aus Folio abzusprechen. Und ich muss Ergebnisse sehen. Das wisst ihr.» Die anderen nickten und die Abteilungsleiterin erhob sich und verließ das Zimmer.
Cato Isaksen dachte daran, was Asle Tengs über Vampire gesagt hatte. Er war mit André Hansen und Solvi Steen durchaus noch nicht fertig.
28
Der Sarg verwandelte sich in einen Mann, der ein nacktes Mädchen anstarrte. Das Mädchen verwandelte sich in Ellen. Er war Ellen Grues Gesicht so nah, dass er ihren Atem spüren konnte. Sie drehte sich um und sah ihn an. «Wir machen einen Ausflug. Du küsst mich. Wir reden. Das ist alles, Cato.» Im Traum hörte er ihre Stimme. «Das ist alles.»
Sie schloss einen Schrank auf. «Wie alt bist du in zwölf Jahren?», fragte sie. Sie lächelte ihn neckisch an, bedachte ihn mit ihrem schelmischen Blick. Er drehte sich um und schaute sich im Spiegel in die Augen. Sein verletzter Blick machte ihm Angst. In der Hand hielt er ein Stück Fleisch und ein Messer.
Cato Isaksen fuhr aus dem Schlaf hoch, als der rote Kater auf seine Knie sprang und sich an seiner Brust rieb. Er griff danach. Aber das Traumtier löste sich in Luft auf und verschwand. Die Bilder aus seinem Traum entglitten ihm langsam, aber der Gedanke an Messer und Fleisch machte ihm noch immer zu schaffen. Er stand auf und ging zur Verandatür. Die Büsche im Garten zeigten erste hellgrüne Blattspitzen. Die Zeit verging so schnell. Nur noch eine Woche bis zum Nationalfeiertag am 17. Mai.
Bente brachte eine Thermoskanne mit Kaffee und ein paar Stück Rosinenkuchen. «Du bist eingeschlafen», sagte sie. Er lächelte sie an und gähnte. Ihm steckte noch immer Ellen Grue im Leib. Fast beschämt dachte er an die vergangene Nacht, in der Bente und er eine ihrer seltenen leidenschaftlichen Begegnungen gehabt hatten. Sie hatte ihn mit ihr machen lassen, was er wollte. War auf seltene Weise dabei gewesen. «Wo ist Georg?», fragte er.
«Zu den Nachbarn gegangen. Ich habe ihm gesagt, dass er um halb acht wieder hier sein muss.» Sie schenkte Kaffee ein. «Bist du total erschöpft?», fragte sie.
Er schüttelte den Kopf. «Eigentlich nicht. Mir macht eben dieses verschwundene Mädchen zu schaffen. Etwas an der Sache ergibt keinen Sinn. Dass die Großmutter erschossen worden ist, einfach überhaupt alles. Es ist total hoffnungslos. Ich habe das Gefühl, dass wir uns im Kreis drehen, dass wir etwas übersehen.»
Bente ließ sich neben ihn aufs Sofa fallen. «Ich überlege, ob ich mir nicht einen anderen Job suchen sollte», sagte sie.
«Ach?»
«Immer diese vielen Nachtwachen. Die alten kranken Menschen. Und die Bezahlung.»
«Was denn für einen Job?» Cato Isaksen biss in ein Stück Kuchen.
«Ich weiß nicht, einen mit festen Arbeitszeiten. Einen, der besser zu deinem passt.»
Er musterte sie ernst.
«Ich hätte das natürlich schon längst machen sollen. Die Jungs sind jetzt groß, aber trotzdem. Bei meinem vielen Nachtdienst und deinen Arbeitszeiten. Da bleibt nicht viel Familienleben übrig», sagte sie.
Am nächsten Morgen kam Roger Høibakk in sein Büro, als er sich eben gesetzt hatte. Die beiden Ermittler wollten alle Unterlagen im Fall Moen noch einmal durchgehen. Sie waren jetzt seit über einer Woche damit beschäftigt, alle Einzelheiten in ein System zu bringen. Sie wollten alle Puzzlestücke neu mischen und dann sehen, ob sich ein neues Bild ergab. Und jetzt waren sie bei Nils Bergman angekommen.
«Er muss viermal im Jahr zum Manöver.» Roger Høibakk zog sich den Kamm durch seine dunklen Haare. «Das habe ich schon vor Wochen von seinem Chef bei der Heimwehr erfahren. Der hält Nils Bergman für einen absolut vertrauenswürdigen Mann. Der Chef hat übrigens persönlich in der ersten Zeit nach Kathrines Verschwinden die Suchaktionen geleitet.»
«Nils Bergman leitet doch die Live-Gruppe, in der André Hansen und Solvi Steen mitmachen», sagte Cato Isaksen.
«Außerdem hatte er in der Nacht, in der Kathrine verschwunden ist, Dienst an der Mautstation. Ganz schön viele Zufalle auf einmal, finde ich. Natürlich haben sie bei der
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