Spurlos in der Nacht
Georg sprang hinaus, bückte sich, hob eine Hand voll Kieselsteine auf und warf sie auf den Rasen. Sein Vater nahm ihn an der Hand und ging auf die Tür zu, die geöffnet wurde, noch ehe er klingeln konnte. Helena Bjerke reichte ihm die Karte. Er bat sie freundlich, sie in eine Plastiktüte zu stecken. «Es hat doch keinen Sinn, noch mehr Fingerabdrücke zu produzieren als unbedingt nötig», sagte er ruhig.
Sie blickte ihn verständnislos an und bat ihn ins Haus. «Das ist ihre Schrift», sagte sie. «Sie hat das wirklich geschrieben.»
«Sind Sie sich da ganz sicher?» Der Fahnder folgte ihr in die Diele. Georg hielt die ganze Zeit brav seine Hand. Er schien zu verstehen, dass es der Frau sehr schlecht ging, schließlich hatte sie ihn nicht einmal begrüßt.
Helena Bjerke öffnete eine Küchenschublade, zog eine Rolle durchsichtiger Plastiktüten hervor und schob die Karte in eine davon. «Hier», sagte sie und reichte sie ihm. «Ich sehe doch, dass sie das geschrieben hat.»
Cato Isaksen ließ die Hand seines Sohnes los und hob die Tüte mit der Karte hoch. Helena Bjerke würdigte den Jungen noch immer keines Blickes.
Cato Isaksen fragte, ob sie Briefe oder Schulhefte von Kathrine ausleihen könnten, um die Schrift zu vergleichen.
«Wir werden gleich losfahren, sowie Tage von der Arbeit kommt», sagte Helena Bjerke mit harter Stimme, dann lief sie die Treppe hoch und öffnete die Tür zum Zimmer ihrer Tochter. Sie riss Schubladen und Schränke auf. Plötzlich stand sie mit einem Karton in der Hand da. Sie öffnete ihn und hätte laut schreien mögen, als sie Kathrines ausrangierte Barbie-Puppen und Puppenkleider entdeckte. Alles fiel ihr auf den Boden. Puppen und Kleider landeten auf dem grünen Flickenteppich. Sie ging in die Hocke und begann alles aufzulesen. Sie sah die steifen Gesichter und die spitzen Brüste der Puppen. Der kleine Barbiehund und die vielen schönen Kleider, das alles ließ die Übelkeit in ihr aufsteigen. Sie stellte den Karton wieder in den Schrank, drehte sich um und starrte das Bild von Kathrine an, das an der Wand hing. Die blonden Haare, den frechen, munteren Blick.
Cato Isaksen musterte die Karte in der Plastiktüte. Er musterte den Poststempel. Arjäng stand in dem Kreis. Die Karte war zwei Tage zuvor abgestempelt worden. Helena Bjerke kam mit einem Stapel Briefe und einigen Schulheften nach unten.
Georg wurde jetzt ungeduldig. «Wir gehen, Papa», sagte er. Helena Bjerke achtete noch immer nicht auf ihn.
«Ich frage mich, ob sie vielleicht drogensüchtig ist.» Helena Bjerke ließ den Finger über einige erstarrte rote Saftflecken auf dem Küchentisch wandern. «Oder ob sie sich da unten auf der Straße herumtreibt. Oder ob sie bei Tages Familie wohnt.»
Cato Isaksen spitzte die Ohren. «Stammt Tage Wolter aus Arjäng?», fragte er.
«Ja, und seine Mutter und sein Bruder wohnen dort unten. - Ich habe seine Mutter schon angerufen. Aber sie sagt, sie habe Kathrine nicht gesehen.»
«Ärjäng ist ja nicht weit von hier, nur einige Autostunden», sagte Cato Isaksen und sah zu, wie Georg zum Küchenfenster ging und auf das Vogelbrett hinausstarrte. Kann es denn wirklich eine so einfache Erklärung geben, fragte er sich. Ist Kathrine einfach durchgebrannt und hat sich bei der Familie ihres Stiefvaters niedergelassen? Und wenn ja, kann sie dann etwas mit dem Mord an ihrer Großmutter zu tun haben? «Das ist neu für uns», sagte er. «Dass sie Kontakt zu Herrn Wolters Familie hat.»
«Hat sie auch nicht.» Helena Bjerke starrte ihn an. Die Angst ließ ihr Gesicht wütend aussehen. «Sie kennt sie nicht einmal. Ist ihnen nie begegnet. Tage ist mit ihnen zerstritten.»
Es wurde ein chaotischer Samstag. Cato Isaksen brachte Kathrines Karte, die Schulhefte und die Briefe zur Analyse. Da es ein Wochenende war, würde die Arbeit daran erst am Montag beginnen. Er bat um eine einstweilige Einschätzung, kannte die Antwort im Grunde aber schon im Voraus. Es war nicht schwer zu sehen, dass die Schrift überall dieselbe war.
«Kann es sein, dass sie ihren Stiefvater bestrafen will, indem sie seine Familie besucht, die er hasst?» Roger Høibakk zog sich rasch seinen schwarzen Kamm durch die Haare.
Cato Isaksen versuchte Georg zu beruhigen, der inzwischen laut herumquängelte. Er versprach ihm für später ein Spielzeugauto, wenn er nur noch eine halbe Stunde durchhielt. Er rief Bente an und bat sie, den Einkauf zu übernehmen.
Roger und er kamen zu dem Schluss, dass sie nach
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