Spurlos in der Nacht
Arjäng fahren mussten. Nach vielem Hin und Her mit den Kollegen aus Folio wurden Cato Isaksen selbst und Roger Høibakk mit der Fahrt beauftragt. Sie beschlossen am Montagmorgen um acht vom Polizeigebäude aus loszufahren. Läden und Lokale mussten schließlich geöffnet sein, wenn sie nach Kathrine suchen und die Leute fragen sollten, ob sie sie gesehen hätten.
«Es könnte ja interessant sein, zuerst überhaupt mal zu wissen, ob das wirklich ihre Schrift ist», meinte Randi Johansen.
«Das spielt eigentlich keine Rolle», sagte Roger Høibakk. «Wenn die Karte nicht von ihr stammt, dann haben wir umso mehr Grund, der Sache nachzugehen.»
«Diese Familie des Stiefvaters. Was wissen wir über die?» Preben Ulriksen stand auf und öffnete das Fenster. Das Zimmer war warm und stickig.
«Das ist ihre Schrift», sagte Asle Tengs und musterte die Kopie der Karte. Er hielt sie neben ein Schreibheft, das Kathrine vollgekritzelt hatte. «Alles Scheiße, wie immer. Die Alte ist sauer. Tage ist ein Trottel. Kenneth und Maiken sind ok. Kathrine, Kathrine, Kathrine.»
«Die Mutter sagt, dass sie niemals «deine Kathrine geschrieben hätte», sagte Cato Isaksen ernst. «Aber vielleicht hat sie so ein schlechtes Gewissen, weil sie ihrer Mutter das alles angetan hat, dass sie jetzt ein wenig dicker aufträgt.»
«Schwer zu sagen», meinte Preben Ulriksen und erhob sich, um einen Stapel Unterlagen vor Georg zu retten, der sie gerade zu Papierfliegern verarbeiten wollte.
Am Sonntag fuhr Cato Isaksen mit Bente und Georg zum Frognerpark. Danach aßen sie in Peppes Pizza am Frognerplatz. Cato war nervös. Er konnte den Montag und die Fahrt nach Schweden fast nicht erwarten. Kathrine Bjerke war für ihn plötzlich zu einem lebenden Menschen geworden. Was machte sie da eigentlich? An diesem Abend konnte er nicht schlafen. Sie hatten am nächsten Tag eine weite Strecke vor sich, aber die Gedanken wirbelten ihm durch den Kopf. War sie denn total gefühllos? Auch die Aussagen der Pastorin machten ihm zu schaffen. Mädchen in diesem Alter wirkten oft zäh und stark, er wusste aber, dass sie sich innerlich ganz klein und jämmerlich fühlen konnten. Und das konnte etwas in anderen Menschen ansprechen, die sie daraufhin ausnützten. Was hatte Kathrine damit gemeint, dass sie einen Menschen kannte, der sich abweichend verhielt? Hatte sie sich auch das aus den Fingern gesogen, um zu provozieren?
Vetle hatte vor kurzem etwas gesagt, dass Cato Isaksen nicht vergessen hatte. Bente hatte dem Jungen Geld für neue Kleider gegeben. «Aber kauf dir etwas Fescheres als sonst», hatte sie gesagt. «Nicht solchen langweiligen Kram wie beim letzten Mal. Darin siehst du aus, als wolltest du dich verstecken. Wir sehen dich sozusagen gar nicht.»
«Das ist ja auch der Sinn der Sache», hatte der Sohn gemurmelt und war dann rasch aus dem Haus gelaufen.
Und Kathrine, wollte die sich auch verstecken? War sie deshalb verschwunden, oder wollte sie dadurch jemanden bestrafen? Wären auch seine Söhne dazu fähig? Kinder, die heranwuchsen, konnte man nicht begreifen und auch nicht lenken. Man konnte überhaupt nichts lenken. Cato Isaksen empfand beim Gedanken an die Vaterrolle eine tiefe Ohnmacht.
Um zehn nach acht Uhr am nächsten Morgen fuhren die Ermittler in Oslo los. Es war ein heller Tag mit strahlendem Sonnenschein. Cato Isaksen fühlte sich müde und schlecht in Form. Und außerdem bildete dieser schöne Tag einen dermaßen schreienden Kontrast zu der Aufgabe, die vor ihnen lag, dass er sich dabei ertappte, wie er sich Nebel und Regen wünschte.
Nach anderthalb Stunden Fahrt hielten sie bei einer Raststätte gleich hinter der Grenze und bestellten ein Brot und eine Tasse Kaffee. Cato Isaksen gähnte und bat Roger das Steuer zu übernehmen.
«Ich habe letzte Nacht schlecht geschlafen», sagte er.
35
Der Ortskern von Arjäng machte nicht viel von sich her. Ein alter Marktflecken, ein wenig Kleinindustrie, eine Trabbahn. Vorhin noch hatte ein großes Schild am Straßenrand sie in Värmland willkommen geheißen. Der Ort lag fünfundzwanzig Kilometer von der norwegischen Grenze entfernt. Roger Høibakk fuhr zu schnell. «Aufpassen», sagte Cato Isaksen, «damit wir nicht hinter schwedischen Gardinen landen.» Høibakk lachte.
Cato Isaksen betrachtete die Umgebung. Die Landschaft sah aus wie in Norwegen. Weite Felder und Waldgebiete, kleine Läden und Häuser am Straßenrand. Als sie sich Arjäng näherten, passierten sie einige Hochhäuser,
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