Spurlos in der Nacht
begreifen wir deshalb nicht.»
«Sie war jedenfalls nicht hier», erklärte Johan Wolter mit mürrischem Gesicht und verließ das Haus.
Die Ermittler erfuhren, dass der kleine Hof schon seit vielen Jahren nicht mehr betrieben wurde, da Johan Wolter sich und seine Mutter als Automechaniker am Leben hielt. «Er hat sich da in der Scheune eine Art Werkstatt eingerichtet», sagte die Mutter und nickte müde. «Es ist schwer», sagte sie bitter. «Aber in Norwegen sind Sie ja so reich.»
Cato Isaksen und Roger Høibakk lächelten ein wenig über diese Behauptung und versuchten ihr klarzumachen, dass arme Leute in Norwegen ebenso arm waren wie in Schweden. Aber auf dem Ohr schien die Frau taub zu sein.
«Die sind einfach gefahren», sagte sie und seufzte. «Sie war so wütend, diese Helena», fügte sie hinzu. «Was ist da eigentlich passiert?»
Cato Isaksen erzählte von Brenda Elise Moen, die vor ihrem eigenen Haus erschossen worden war. Er sagte, er glaube, dass Helena Bjerke ihre Mutter sehr geliebt hatte. Und da außerdem noch ihre Tochter verschwunden sei, sei es wohl kein Wunder, dass sie mit den Nerven am Ende war.
Agnetha Wolter wirkte aufrichtig geschockt und überrascht. «Davon haben sie nichts gesagt. Wir wissen ja nichts», sagte sie leise.
Als sie sich auf die Rückfahrt nach Oslo machten, saß Cato Isaksen hinter dem Lenkrad. Er hielt an einer Kreuzung und ließ einen Lastwagen vorbei. Was konnte der Grund dafür sein, dass Familie Wolter nicht miteinander sprach?
«Was für Menschen», sagte Høibakk. «Gott straft die Schweine damit, dass er sie wie Schweine aussehen lässt.»
«Wie meinst du das?»
«Die Mutter sieht aus wie ein Schwein. Der Sohn auch. Hast du Johan Wolters Hose nicht gesehen? Hosenträger und überhaupt. Er hat Tage Wolter als Lügner und Heuchler bezeichnet. Aber sind Leute, die so über andere reden, nicht eher selbst so?»
«Ich fand sie ja auch ein bisschen komisch», sagte Cato Isaksen. «Und Tage Wolter muss ja einen überaus gutaussehenden Vater gehabt haben», fügte er hinzu.
Sie hielten bei allerlei Lokalen und Hotels, um zu fragen, ob Kathrine dort vielleicht nach einem Job gefragt haben könnte. Aber niemand wusste etwas über sie.
Sie fuhren weiter. Roger Høibakk wäre auf dem Beifahrersitz fast eingenickt. Dann riss er die Augen plötzlich wieder auf und schaute zu seinem Kollegen hinüber.
«Alles verdammt seltsam», sagte er. «Ich habe ein widerliches Gefühl.» Cato Isaksen konzentrierte sich auf die Straße.
«Ich glaube nicht, dass wir unsere Fantasie mit uns durchgehen lassen sollten», meinte er.
«Aber warum ist sie gerade hierher gekommen? Sie muss doch gewusst haben, dass die Mutter ihres Stiefvaters hier lebt.»
«Falls sie überhaupt hier war.»
«Natürlich war sie das. Aber andererseits», meinte er, «ist es schon seltsam, dass niemand sie gesehen hat.»
«Das ist überhaupt nicht seltsam», widersprach Cato Isaksen. «Die meisten schauen nicht so genau hin.»
«Ich glaube, sie hat die Karte geschrieben», erklärte Roger Høibakk.
Cato Isaksen hob die eine Hand vom Lenkrad und fuhr sich müde über die Stirn. «In ein paar Tagen kommt die Schriftanalyse», sagte er und ließ seinen Blick über die Landschaft gleiten. Über Äcker und Wälder und die verstreute Bebauung. Die Sonne verschwand gerade hinter einigen hohen Tannen. Etwas sagte ihm, dass Kathrine Bjerke sich nicht in der Nähe befand. Das war vielleicht eine törichte Schlußfolgerung. Die Schrift auf der Karte mochte ja durchaus echt sein. Aber konnte nicht auch jemand Kathrine gezwungen haben, diese Karte zu schreiben?
36
Es gab etwas, das Helena Bjerke bisher nicht erzählt hatte. Zwei Tage nach der Fahrt nach Schweden rief sie bei Cato Isaksen an. Sie gab zu, dass sie gelogen hatte, um ihren Lebensgefährten zu beschützen. «Es tut mir Leid», sagte sie traurig. «Aber ich war ganz sicher, dass Tage nichts mit Kathrines Verschwinden zu tun hat. Und jetzt weiß ich nicht mehr so genau, was ich glauben soll.»
Cato Isaksen bat sie, im Polizeigebäude vorbeizuschauen. «Das ist zu wichtig, um es am Telefon zu besprechen», erklärte er. Helena Bjerke versprach, sich sofort auf den Weg zu machen. Eine Stunde daraufstand sie im Foyer und wartete auf ihn.
Kathrine Bjerkes Mutter sah nicht gerade gepflegt aus. Sie trug eine alte Hose und einen verwaschenen rosa Pullover. Es war deutlich, dass sie morgens nicht geduscht hatte. Ihre halblangen Haare waren
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