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Spurschaden

Spurschaden

Titel: Spurschaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Halo
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ausatmete.
    Konnte das möglich sein, fragte sie sich. Alles nur ein schlechter Scherz? Nein! Nicht an ihrem Geburtstag. Das ergab einfach keinen Sinn. Irgendjemand oder irgendetwas musste die Zwillinge zu dieser Tat angestiftet haben, sie zum Verlassen des sicheren Klosterbereichs verführt haben. Das schwere Haupttor war verschlossen gewesen, aber die alte Mauer war nicht überall unüberwindbar. Hier und da – meist von Gestrüpp verdeckt – gab es kleinere Schlupflöcher, die zumindest für Kinder groß genug waren; das war allgemein bekannt.
    »Mein Gott, da draußen sind die beiden ganz allein«, flüsterte Marie, und das Wort »allein« war noch nicht ganz ausgesprochen, da schoss ein Bild durch ihren Kopf, so realistisch und bedrängend, dass sie sich an der seitlichen Holzverkleidung der Wand regelrecht festklammern musste, um nicht zu stürzen:
    Unmittelbar vor ihr erhob sich wie aus dem Nichts eine nackte Frau, deren verschwommenes Gesicht jegliche Individualität vermissen ließ. Hinzu kamen zwei riesige Brüste, die den Körper ins Extreme formten. Weit breitete die völlig Entblößte die Arme aus, schaute an ihr vorbei. Dann rief diese Kreatur unwiderstehlich sanft: »Bringt es mir, meine lieben Kinder! Kommt zu Mama!«
    Marie schaute entsetzt hinter sich, in die Richtung, in die die Aufforderung der Fremden galt und blickte auf Esther und Silke. Diese folgten dem Ruf, waren bereits ganz nahe, rannten auf die unwirkliche Gestalt zu.
    »Nein!«, schrie Marie und warf sich mittig in den Flur. Noch bevor die Zwillinge ihr ausweichen konnten, griff sie mit den Händen nach den Kindern – griff ins Leere.
    Wenig später rissen die Schmerzen an den Knien die Novizin wieder in die Realität zurück. Zitternd richtete sie ihren Körper auf, drehte den Kopf in jede erdenkliche Richtung. Der Flur – leer. Sie war vollkommen allein. Und dann fraß sich dieser eine Gedanke in sie hinein, verstärkte den schnellen Schlag ihres Herzens. Sie wusste jetzt, was ihr die Wahnvorstellung mitteilen wollte. Sie wusste jetzt, was einem Teil von ihr, ganz tief im Inneren offenbar schon länger bekannt war:
    SIE war es. SIE war die Verführerin. Der Teufel hatte durch SIE geredet, als sie in der Nacht die beiden Kinder nach der Zeitschrift gefragt hatte. Nichts anderes wollten die Zwillinge wohl, als ebendiese Zeitschrift aus dem Versteck – irgendwo da draußen im Wald verborgen – zu holen und ihr so schnell wie möglich zu überreichen. Natürlich konnte sie sich irren. Natürlich war das nur eine Vermutung. Doch bevor Marie intensiver daran dachte, Zweifel zuzulassen, hatte sich die neue Erkenntnis zur einzig möglichen verfestigt, löste in ihrem Gehirn endgültig etwas aus, das kein Medikament der Welt würde mehr ungeschehen machen können. Einzig die Unversehrtheit der Kinder würde diesen neuen Schmerz vergessen lassen, würde vollkommene Genesung garantieren; und das wusste sie.
    Zitternd griff Marie nach der Visitenkarte, die der Kommissar ihr überreicht hatte. »Thomas Schlund« stand da, in großen Buchstaben.
    »Jede noch so kleine Information kann entscheidend sein«, rief sie sich die Worte des Kommissars in Erinnerung und blickte in Gedanken auf eine verschmutzte Boulevard-Zeitschrift mit einer Silikon-Schönheit im Innenteil, die bereits durch etliche Männerhände gewandert war und an der sich so mancher Arbeiter aufgegeilt hatte. Sollte ein Schundblatt wirklich der Auslöser für diesen Schreckenstag sein? Was war aber dann passiert? Warum waren die Zwillinge nicht längst zurück?
    Diese Fragen überlagerten allerdings nur kurz die eigentliche Hauptfrage, die Marie sich stellte: Würde der Kommissar nach dieser neuen Erkenntnis immer noch so fest bei seiner Aussage bleiben, dass sie sich nichts vorzuwerfen habe? Sie würde es gleich wissen.
    Nicht weit entfernt hörte sie den Kommissar reden. Selbst die massive Bürotür konnte das offensichtlich lautstarke Telefongespräch nicht verheimlichen. Marie rannte zur schweren Tür von Pater Johanns Büro, zögerte kurz, riss diese dann aber ohne anzuklopfen auf und fand sofort den direkten Blickkontakt zu Thomas Schlund. Überrascht, aber keinesfalls verärgert, erwiderte der Kommissar den Blick der Novizin. Einen Telefonhörer hielt er nicht in der Hand. Sie musste sich geirrt haben; vielleicht hatte er Selbstgespräche geführt.
    »Mir ist noch etwas eingefallen!« Marie eilte zum Stuhl, setzte sich. Dann erzählte sie aufgeregt und außer Atem von der

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