Spurschaden
klickte er mit dem Mauszeiger auf »Ja«. Ja, er wollte das gestern Abend gespeicherte Bild nicht vom Desktop in den virtuellen Papierkorb verschieben. Er wollte es endgültig löschen – und er wollte vergessen.
Die Fahrt würde der reinste Horror werden, das wusste er. Auch wenn die Räumungsfahrzeuge rund um die Uhr unterwegs waren, gegen diese gewaltigen Schneemassen hatten sie keine Chance. Doch Thomas blieb keine Wahl. Seine innere Stimme zwang ihn dazu. Er wollte sicher gehen, dass es ihr gut ging. Er musste zu ihr; jetzt.
Der Wind war eisig, die Nacht sternenklar. Keine einzige Schneeflocke fiel vom Himmel. Und während Thomas im Scheinwerferlicht seines Jeeps das kurze Stück vor der Garage in Rekordzeit freischaufelte, sehnte er sich das erste Mal nach der erdrückend warmen Krankenhausluft.
Das Garagentor öffnete sich mit einem leicht quälenden Geräusch, der starke Dieselmotor sprang sofort an. Sekunden später passten die großen Reifen genau in die Spur. Das Garagentor schloss sich. Und obwohl Thomas nur an die verletzte junge Frau dachte, steuerte er das schwere Dienstfahrzeug während der nächsten Kilometer nahezu perfekt. Einige Male rutschte er zwar gefährlich weit auf die Gegenfahrbahn, doch um diese Uhrzeit spielte das keine Rolle. Da war niemand außer ihm. Nicht nur Marie, auch das Bild aus dem Internet beschäftigte ihn ständig. Inzwischen ärgerte er sich. Natürlich würde er es im Netz wieder finden, neu abspeichern können. Doch das endgültige Löschen vorhin war eigentlich nicht seine Art. Überstürzte Handlungen aus einem Gefühl heraus waren in seinem Beruf gefährlich. Der klare Verstand sollte seiner Meinung nach immer im Vordergrund stehen.
Gegen 5:00 Uhr kam das Krankenhaus in Sichtweite. »Seltsam«, dachte er und schaute leicht geblendet auf den extrem hell beleuchteten Außenbereich. Gerade hatte er den Dienstwagen nahe dem Eingang geparkt, als ihn gleichzeitig mit dem Schließen der Zentralverriegelung jemand ansprach:
»Da sind Sie also!«
Thomas drehte sich überrascht um und blickte in ein mit starken Falten gezeichnetes Gesicht. Müde Augen musterten ihn von Kopf bis Fuß. »Sie haben mich erwartet?«, fragte er den älteren Mann.
»Wenn ich ehrlich bin … nein! Ich hätte nicht gedacht, dass diese Jammerlappen noch die Polizei rufen. Beck ist mein Name. Ich bin der Hausmeister.« Beck streckte entschieden seine Hand aus und Thomas schüttelte diese bewusst lange und kräftig. Er wusste genau, was von ihm – als junger Mann in verantwortlicher Position – erwartet wurde: ein fester Händedruck gehörte ganz sicher dazu.
»Polizeihauptkommissar Schlund. Guten Morgen! Was genau ist denn passiert?«
Der Hausmeister drehte sich um und deutete auf einen Bereich, seitlich vom Haupteingang gelegen. »Schauen Sie!«
Thomas hob die rechte Hand in Stirnhöhe schützend vor seine Augen. »Ganz schön hell!« Konzentriert und mit zusammengekniffenen Augen suchte er nach etwas Auffälligem. »Was genau meinen Sie?«
»Na das Ding da!«, antwortete Beck.
Thomas schaute erneut in die angedeutete Richtung. »Welches Ding? Bei dem grellen Flutlicht kann man ja nichts erkennen!«
»Treffer, Herr Kommissar! Das meine ich doch! Dieser verdammte Scheinwerfer ging heute Nachmittag von allein an und seitdem nicht mehr aus!« Der Hausmeister stieß einige nicht verständliche Flüche aus, der Tonfall seiner Stimme änderte sich.
»Was ist mit dem …?«
»Ich weiß schon!«, fuhr Beck Thomas ins Wort. »Strom! Ohne Strom kein Licht! Aber das ist es ja. Ich finde keinen Schalter, keine Leitung. Dieser runde Strahler dürfte gar nicht existieren. Ich habe den nie zuvor gesehen. Als ob der Teufel höchstpersönlich dieses verfluchte Ding da installiert hat.« Der ältere Mann schnaufte. »Schauen Sie doch! Von außen kommt man unmöglich ran! Mich bekommt jedenfalls keiner aufs Dach … bin zwar noch fit, aber nicht lebensmüde!«
Thomas musste innerlich lachen, ließ es sich aber nicht anmerken. »Sehr eigenartig, wirklich! Und sehr ärgerlich! Was halten Sie davon: Ich mache den Krankenbesuch, wegen dem ich eigentlich hier bin und danach helfe ich Ihnen, dieses Flutlicht auszuschalten – notfalls mit Gewalt.«
»Gerne! Die Erlaubnis zur Anwendung von Gewalt haben wir. Größere Steine werden Sie hier in der Nähe aber nicht mehr finden.« Der Hausmeister grinste. »Die habe ich schon alle aufgebraucht.«
Thomas grinste zurück. »Ich dachte da eher an einen gezielten
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