ST - Die Welten von DS9 4: Bayor - Fragmente und Omen
wenngleich ich diesem Argument einen gewissen Wert nicht abstreiten mag.« Opaka ließ sich auf einer steinernen Bank gegenüber des Torbogens nieder. »Sondern weil jede Religion ein Versuch ist, das Universum, von dem wir doch nur Bruchstücke wahrnehmen können, in seiner Gänze zu verstehen. Der Gläubige mag an der Oberfläche der Wahrheit kratzen, und dennoch sieht er, glaube ich, stets nur einen Teil des weitaus größeren und komplexeren Ganzen. Unterschiedliche Religionen sehen unterschiedliche Teile, und keine von ihnen irrt. Allerdings sieht auch keine die ganze Wahrheit.«
»Gemeinsam allerdings …«, sagte Solis.
»Gemeinsam ergeben sie ein Mosaik«, fuhr Opaka fort. »Oder einen Wandteppich. Genau wie unsere Leben den Teppich namens Bajor bilden. Genauso wie unsere Erfahrungen den Teppich weben, der uns als Individuen ausmacht.«
Solis nickte. Natürlich überraschte ihn ihre Aussage nicht, aber es tat gut, sie zu hören. Opaka formulierte ihre Gedanken mit so beeindruckendem Enthusiasmus, Aufrichtigkeit und innerer Ruhe, dass ihm seine nächsten Worte noch leichter fielen. »Sie wissen, warum ich um dieses Treffen bat?«
Opaka seufzte. »Ich schätze, ja.«
»Und ich weiß, dass ich diese Frage nicht als Erster stelle«, fuhr er fort, »aber ich fühle mich verpflichtet, in den Klang der anderen Stimmen einzufallen. Werden Sie abermals unsere Kai sein?«
Ihr Lächeln schrumpfte, verschwand aber nicht gänzlich. »Nein, Tendren«, sagte Opaka, »das werde ich nicht.«
Solis war enttäuscht, aber nicht sonderlich überrascht – und noch nicht bereit, aufzugeben. »Die Vedek-Versammlung hat sich nie von Ihrem Verlust erholt, Sulan. Sie verlor ihren Einklang, unterlag der Politik und der Korruption … Bareil Antos hätte uns vielleicht vor diesem Verfall bewahrt, doch als Bareil nicht mehr war, schien Winn Adami den Verfall regelrecht zu brauchen. Wir haben uns verirrt, Sulan, und wir müssen unseren Weg dringend wiederfinden. Nun, da der Wind von so viel Wandel kündet, mehr denn je. Ohalu, der Wegbereiter, die Eav-oq …« Er brach ab, plötzlich überwältigt. »Kann Sie denn nichts umstimmen?«
»Es ist keine Frage der Überredung«, sagte Opaka sanft. »Ich bin mir der Schäden bewusst, die Winn hinterließ. Mein
Pagh
schmerzte, als ich von ihnen erfuhr. Und, ja, die jüngsten Entwicklungen beschleunigen den Wandel, dem unser Verständnis der Propheten unterliegt – vielleicht sogar alarmierend schnell. Doch mein Glaube besitzt Ausdauer. Ich werde den Pfad, auf den sie mich leiteten, weiterhin beschreiten, so wie wir alle. Inzwischen weiß ich allerdings, dass er mich nicht zurück in den höchsten Sitz der Vedek-Versammlung führt.«
»Bajor braucht Sie, Sulan«, sagte Solis sanft.
»Bajor hat mich«, versicherte sie ihm. »Nur nicht auf die Weise, die es vielleicht für nötig erachtet.«
Solis suchte nach Worten, die sie zum Einlenken bewegen würden, doch Opaka sah nicht länger zu ihm. Ihr Blick ruhte inzwischen auf dem Balkon, als sähe sie ihn zum ersten Mal.
»Wussten Sie«, sagte sie schließlich, »dass ich just hier zum ersten Mal dem Abgesandten begegnete?«
Neugierig schüttelte er den Kopf. »Wie war das?«
»Verstörend«, gestand Opaka. »Sein Schmerz war so groß.
So groß
. Er hatte sich verirrt und wusste nicht länger, wo er war.«
»Sie aber zeigten es ihm«, nahm Solis an. »Sie führten ihn dazu, seine Bedeutung zu begreifen.«
Opaka winkte ab. »Ich habe nur die Tür geöffnet. Er hat sie von selbst durchschritten.« Sie drehte sich zu Solis um, betrachtete ihn nachdenklich. »Das ist es, was man als Kai macht, Tendren. Man führt nicht an, spielt seine Macht nicht aus. Man entscheidet nicht für andere, was der Wille der Propheten von ihnen verlangt. Man hilft ihnen, den Pfad allein zu finden und die Reise nicht zu fürchten.«
»Deswegen sollten Sie es sein«, sagte Solis. Opaka erwiderte nichts. »Wenn Sie nicht wieder Kai werden … was sollen wir tun?«
»Was uns die Propheten lehren«, antwortete Opaka, als läge es auf der Hand. »Wir tun, was wir im Angesicht des Zweifels tun sollen. Wir suchen
in uns
nach den Antworten.«
Solis blinzelte.
Sie lächelte wieder, tätschelte ihm den Arm. »Kommen Sie. Begleiten Sie mich in meine Gemächer. Es ist Zeit für den Tee.« Bevor er etwas erwidern konnte, stand sie bereits und setzte sich in Bewegung. Solis hatte Mühe, zu ihr aufzuschließen. Im Klosterinneren ging es gewundene Treppen und kühle
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