St. Leger 01 - Der Fluch Der Feuerfrau
wollte: »Nun stellt mir die Frage schon. Wenn alle St. Legers mit irgendwelchen Gaben ausgestattet waren, welches verwünschte Talent habe ich dann mitbekommen?«
»Ich glaube, ich kenne die Antwort darauf schon. Ihr ... nun, Ihr glaubt, Visionen zu erhalten. Wenn Ihr jemanden lange genug anseht und Euch um ihn sorgt, dann treten die Dinge, welche Ihr geschaut habt, auch irgendwann irgendwie ein.«
»Verdammt, Madeline, das sind keine Hirngespinste!«, schimpfte er. Diese Frau konnte einen in den Wahnsinn treiben. Nach allem, was er ihr erzählt hatte, beharrte sie immer noch darauf, dass es für das alles eine rationale Erklärung geben müsse.
»Ich sehe Bilder aus der Zukunft« - Anatole zwang sich zur Geduld und versuchte es ein weiteres Mal, »oft schlimme Dinge. Fast so, als würde ich in den Albtraum eines anderen Menschen geraten. Allerdings treten diese Dinge dann auch etwas später ein, und ich kann nichts tun, sie zu verhindern.«
Mitleid lag in ihrem Blick, und er sagte sich, dass sie ihn wohl für geistesgestört halten musste. In schierer Verzweiflung zog er das Schwert aus der Scheide und hielt es ihr hin.
»Selbst diese Waffe besitzt Magie und stammt von Prosperos Hexereien. Der Kristall verleiht jedem St.-Leger-Erben eine andere Gabe. Ich, zum Beispiel, kann darin meine eigene Zukunft erblicken.«
»Schon wieder Visionen?«
»Letzten Winter habe ich Euch kommen sehen, Madam. Allerdings nur Euer Haar, nicht Eure Züge. Der Kristall wollte mich warnen. Hütet Euch vor der Feuerfrau.«
»Aber warum habt Ihr mich dann überhaupt geheiratet?«
»Weil mir nichts anderes übrig blieb. Ich kann mein eigenes Schicksal nicht ändern, und nachdem ich Euch kennen gelernt hatte, wollte ich das auch gar nicht mehr; denn mir war klar geworden, dass Ihr nur meinem Herzen gefährlich werden konntet.«
Anatole hoffte so sehr, sie würde ihn nach einem solchen Geständnis ansehen, aber seine Braut hatte nur Augen für den Kristall. Was er über diese Waffe gesagt hat, schien ihr mehr als alles andere an die Nerven gegangen zu sein. Bei Gott, er hatte sie nicht erschrecken, sondern sie nur überzeugen wollen. Anatole legte die Waffe auf den Tisch und nahm Madelines Hände. Ihre Finger fühlten sich eiskalt an.
»Tut mir Leid, Madeline, ich weiß selbst, wie eigenartig sich das alles anhören muss. Ich wünschte bei Gott, dass ich Euch nicht auch noch den Rest berichten müsste.«
»Was denn noch?«, fragte sie kläglich. »Na ja, Ihr habt Euch doch schon einige Male über mein ausgezeichnetes Gehör gewundert. Nun, das ist keine besondere Gabe meiner Ohren ... Ich vermag es zu spüren, wenn jemand kommt, und wenn ich mich darauf konzentriere, erkenne ich auch, um wen es sich handelt.«
»Ist Euch das auch bei mir möglich?«
»Am Anfang nicht. Aber heute Nachmittag unter dem stehenden Stein gelang es mir, nachdem ich endlich begriffen hatte, wie ich Euch lieben muss. Und jetzt kann ich Euch aufspüren, wo immer Ihr Euch auch gerade befindet mögt.« Eigentlich hatte er sie damit beruhigen und ihr versichern wollen, dass er so stets über sie wachen könne. Doch Madeline riss sich von ihm los, brachte Abstand zwischen sich und ihn und verschränkte die Arme vor der Brust. »War's das jetzt? Oder erwartet mich noch mehr?« Wie gern hätte er ihr den Rest verschwiegen. Vor dem jetzt folgenden Geständnis fürchtete er sich am meisten. »Ja. Ich ... ich vermag Gegenstände zu bewegen, ohne sie zu berühren. Per Geisteskraft.«
Seine Gemahlin verlor den letzten Rest Farbe aus dem Gesicht. Ihr Blick richtete sich auf die Eichentür, die sich vorhin scheinbar wie von selbst geöffnet hatte.
Doch ihr Mund verzog sich zu Zweifeln. »Beweist es mir.«
»Madeline, Ihr könnt doch nicht ernsthaft von mir verlangen, diese verwünschten Kräfte -«
»Doch! Wenn Ihr wirklich über solche Fähigkeiten verfügt, dann will ich es auch sehen!«
Eigentlich hätte er sich diese Reaktion denken können. Wie sollte er es über sich bringen, ihr eine Kostprobe der Künste zu bieten, die in den Augen seiner Mutter so viel Abscheu und Entsetzen hervorgerufen hatten? »Was wollt Ihr, dass ich bewege?«
Die junge Frau nagte an der Unterlippe und sah sich in der Halle um.
»Könnt Ihr Prosperos Porträt von der Wand heben?«
»Ja, und es dann gleich im Meer versenken.«
»Nein, ein wenig verschieben würde mir schon reichen.« Anatole ließ die Schultern sinken und konzentrierte sich auf das Gemälde. Die Verachtung für den
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