St. Leger 01 - Der Fluch Der Feuerfrau
Ahnherr verlieh ihm zusätzliche Kraft, und er versetzte dem Bild einen Stoß. Aber nichts geschah.
Er runzelte die Stirn. Das Porträt war ziemlich schwer, aber er hatte schon gewichtigere Gegenstände bewegt. Vielleicht war er noch zu geschwächt von den Anstrengungen bei Wills Operation. Anatole stieß heftiger gegen das Bild. Schon wieder nichts ... fast konnte man meinen, unsichtbare Hände hielten das Gemälde fest. Prospero!
»Ihr sollt verdammt sein!«
»Aber ich habe doch gar nichts gemacht«, beschwerte sich Madeline.
»Ich meinte nicht Euch, sondern ihn ! « Die junge Frau sah sich um und blickte dann wieder auf ihren Gemahl, als zweifle sie an seinem Verstand.
»Hört auf, Bube«, zischte die Stimme des Hexenmeisters neben seinem Ohr. » Schon Eure Schmähungen vernehmen zu müssen, war schlimm genug, aber ich will verflucht sein, wenn ich auch noch zulasse, dass Ihr ein paar Taschenspielertricks mit meinem Bild vorführt, bloß um Eurer Dame zu gefallen. «
»Kehrt zurück in die Hölle, wo Ihr hingehört!«
»Anatole!«
»Ich habe nicht mit Euch, sondern mit Prospero gesprochen. Könnt Ihr ihn denn nicht hören?« Sie brachte sich hinter einem Sessel in Sicherheit und starrte ihn entsetzt an.
»Ihr erschreckt sie, Knabe. Bislang habe ich eine wunderbare Geduld an den Tag gelegt, aber Ihr wollt ja keine Ruhe geben. Soll ich Euch einmal etwas raten -«
»Verschwindet endlich, und lasst mich allein!« Madeline verschwand mit indigniert erhobenem Kopf zur Tür.
»Nein, nicht Ihr, Mylady!«
Sie blieb stehen. »Anatole, vielleicht sollten wir das Ganze lieber lassen -«
»Ihr wolltet, dass ich das verwünschte Gemälde bewege, also werde ich das auch tun.«
»Ihr wollt mich herausfordern? Na gut, dann wollen wir mal sehen, wie dumm Ihr aus der Wäsche schaut, wenn Eure unbeliebten Kräfte Euch im Stich lassen.« Der Burgherr drängte mit aller Macht gegen das Bild und fletschte vor Anstrengung die Zähne. Wie aus weiter Ferne vernahm er Madelines Flehen, endlich damit aufzuhören.
Aber die Wut und die Frustration, die so viele Jahre in ihm gebrannt hatten, stießen hinzu und verstärkten seine Bemühungen. Er presste die Hände an den Schädel, und die
Adern traten hervor. Anatole sank auf die Knie, doch er ließ nicht nach in diesem titanischen Ringen. Bis Prospero nachgab. Unvermittelt zog der Zauberer sich zurück, und Anatoles Kräfte wurden freigesetzt, als sei ein Damm gebrochen.
Das Porträt flog hoch und krachte gegen die Decke. Noch während der Rahmen zersplitterte, kippte der Tisch um. Stühle knallten gegeneinander, das Schwert sauste durch die Halle, die Wandteppiche zerrissen, und die Fackeln explodierten.
Entsetzt versuchte Anatole, die Kontrolle über sich zurückzugewinnen. Mit letzter Kraft rang er gegen die frei gesetzte Energie an und zwang sie in sich zurück. Das Getümmel endete langsam, ein Stuhl drehte sich noch einmal, und Anatole kämpfte darum, nicht die Sinne zu verlieren.
Bei Gott, so hatte er nicht mehr seit jenem Tag in seiner Kindheit gewütet, an dem er Mutters Porzellanfiguren zerschmettert hatte. Diese zerbrechlichen Gebilde ... zerbrechlich ... Madeline!
Was hatte er getan? Anatole zwang sich, die Augen zu öffnen. Die Halle lag in Finsternis da. Nur eine Fackel brannte noch, und die lag ein Yard vor ihm auf dem Boden. Der Burgherr kroch darauf zu, ergriff sie und zog sich an dem umgestürzten Tisch hoch. Nur die Panik hielt ihn aufrecht.
Wenn Madeline etwas zugestoßen war, würde er sich das nie verzeihen. Er hielt die Fackel hoch und suchte nach ihr. Als er sie rufen wollte, versagte ihm die Stimme. Schließlich schickte er seine verbliebene Geisteskraft nach ihr aus und entdeckte sie in der entferntesten Ecke hinter einem umgestürzten Sessel.
Anatole taumelte auf Madeline zu, und sie regte sich. Es gelang ihr sogar, aufzustehen - doch nicht ohne fremde Hilfe. Prospero hielt ihre Hand. »Verschwindet von ihr!«, krächzte der Burgherr. Der Zauberer verbeugte sich vor ihm und löste sich auf. Madeline hatte ihn nicht bemerkt. Dafür starrte sie aber ihn mit einem Entsetzen an, wie er es nur von seiner Mama kannte.
Anatole streckte die Hand nach ihr aus und wusste doch, dass er ihr wie der Leibhaftige erscheinen musste. Er wollte ihr etwas sagen, sie beruhigen, ihr die Angst ausreden.
Je näher er dem Sessel kam, desto weiter wich sie vor ihm zurück. Schließlich bekamen ihre Hände das Schwert zu fassen, und sie hielt es vor sich, so als wolle
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