St. Leger 01 - Der Fluch Der Feuerfrau
in dem Raum fühlte sie sich hier gleich zu Hause und im Kreis lieber Freunde. Die junge Frau nahm sich fest vor, diese Kammer zu lüften, regelmäßig im offenen Kamin ein Feuer zu entzünden und die Bücher abzustauben. Heute Abend jedoch ... Sie warf einen Blick auf die Kerzen in den Wandhaltern, welche immer weiter herabbrannten und ihr damit den raschen Ablauf der Zeit anzeigten.
Madeline stieg die hohe Leiter hinauf und zog einen neuen dickleibigen Band aus dem Bord. Liebevoll strichen ihre Finger über den ledergebundenen Rücken. Bücher waren ihr immer treue Ratgeber gewesen. Doch das, wonach die junge Braut heute suchte, schien auch in diesem Werk nicht zu finden zu sein. Ihr ging es um die grundsätzliche Frage, was von einer frisch vermählten Frau in der Hochzeitsnacht genau verlangt wurde. Der bloße Gedanke daran erzeugte schon ein Flattern in ihrem Bauch.
Beim Dinner vorhin hatte sie kaum einen Bissen zu sich genommen. Braut und Bräutigam hatten sich an dem ungeheuer langen Tisch an den Enden gegenübergesessen, und so etwas wie Konversation war unter solchen Umständen kaum möglich gewesen.
Doch auch unter normalen Bedingungen wäre das Ergebnis wohl nicht anders ausgefallen. Ihr Gemahl war ein Mann, der nicht viele Worte machte, dafür hatten seine Augen Bände gesprochen. Dunkel, hungrig und suchend hatten seine Blicke eine sonderbare Wärme in ihr erzeugt. Auch wenn Madeline keine Ahnung hatte, was sie mit diesem erregten Mann anfangen sollte, schien ihr Körper um einiges mehr Bescheid zu wissen.
Doch leider war der Leib nicht in der Lage, ihr darüber etwas mitzuteilen. Ihre Schwester Juliette hatte Madeline oft gewarnt, sie würde eines Tages an diese Klippe geraten. »Eines Tages wird es dir noch sehr Leid tun«, hatte Juliette mehrmals gestichelt, »dich immer nur in die Bücher vergraben zu haben, statt dich um die wichtigen Dinge in dieser Welt zu kümmern. Dann wirst du nämlich vor Fragen stehen, auf die deine kostbaren Bücher keine Antwort wissen.«
Während Madeline frustriert durch einen Band von Rabelais blätterte, musste sie sich eingestehen, dass ihre Schwester Recht behalten hatte. Wenn doch nur noch eine Frau mit ihr in dieses Haus gekommen wäre. Am besten eine Freundin, die auf diesem Gebiet schon Erfahrung besaß.
Ach, wenn Anatole sich doch nur als der sanftmütige, rücksichtsvolle Gemahl entpuppt hätte, den sie sich erträumt hatte. Aber so war er eben nicht, und sie sollte sich endlich damit abfinden, statt ständig zu jammern. Immerhin hatte St. Leger sich doch nicht als der Grobian herausgestellt, für den Madeline ihn zuerst gehalten hatte.
In den Momenten nach der archaischen Schwertzeremonie war Anatole sogar sanft und freundlich gewesen. Sie hatten sich einen sehr süßen Kuss gegeben, und er hatte sich bereit erklärt, nach einem Kompromiss zwischen seiner Wildheit und ihrer Zartheit zu suchen.
Dieses Versprechen hatte die junge Frau davor bewahrt, bei dem Gedanken an die bevorstehende Hochzeitsnacht in Panik zu geraten. Seufzend stellte sie den Rabelais jetzt zurück und zog Shakespeares Antonius und Cleopatra heraus. Sie wollte den Band gerade aufschlagen, als die Tür mit einem Knall aufflog. Die Leiter geriet ins Schwanken, und Madeline klammerte sich an die nächste Bücherreihe und die Haltestange.
Als sie nach unten blickte, stockte ihr das Herz. Der Bräutigam stand in der Tür, und nach seiner Miene zu schließen, war er jetzt nicht mehr zu Kompromissen bereit. »Anatole!«, keuchte sie.
Er stampfte herein, das schwarze Haar wehte aus seinem Gesicht, und die Brauen zogen sich wuchtig zusammen. Die Tür schloss sich wie aus eigener Kraft. »Was, zum Teufel, treibt Ihr hier?«
»Wieso? Ich ... ich ...«, stammelte Madeline und bekam ein schlechtes Gewissen, so als sei sie beim Bücherstehlen ertappt worden. »Ich treibe hier das, was man für gewöhnlich tut, wenn man eine Bibliothek aufsucht.« Da sie befürchtete, er wisse das vielleicht nicht, fügte sie hinzu: »Lesen.«
Er stapfte wie ein Krieger näher, und Madeline fühlte sich wie ein Kätzchen, das von einem bösen, knurrenden Hund einen Baum hinaufgejagt worden war. Warum ist er nur so böse?, fragte sie sich besorgt. Würde sie je seine dunklen Stimmungen verstehen lernen?
»Ihr verfügt hier über ein e phantastische Bibliothek, My lord«, sprudelte sie rasch hervor. »So etwas hätte ich niemals erwartet... ich meine, wo Ihr doch ...«
»Wo ich mich doch überhaupt nicht dafür
Weitere Kostenlose Bücher