St. Leger 01 - Der Fluch Der Feuerfrau
Anatole wirklich dieses Gesicht gemalt haben, das sie so zum Träumen gebracht hatte?
Madeline stockte der Atem: die Augen waren dieselben! Da sein Stolz sich geschlagen zurückgezogen hatte, konnte sie den echten Anatole nun auch in einem anderen Licht sehen: einsam, verletzlich und seiner selbst gar nicht mehr so sicher.
Der Burgherr wandte sich abrupt ab. »Meinetwegen behaltet das Porträt und lasst Euch von Euren Träumen das Bett wärmen.«
Damit stampfte er zu Tür. Anatole gewährte ihr einen Aufschub. Madeline hätte ihm dafür dankbar sein müssen, doch ...
»Anatole! Wartet.«
St. Leger drehte sich nicht um, wartete aber lange genug, dass sie ihre Röcke raffen und sich zu ihm begeben konnte. Aller Ärger war aus seiner Miene verschwunden. »Habt Ihr das wirklich selbst gemalt?«
»Ja.«
Dutzende Fragen kamen ihr in den Sinn, aber wie konnte sie von ihm erfahren, was sie am dringendsten von ihm hören wollte? Woher besaß er solche künstlerischen Fähigkeiten, und warum hatte er sich so anders dargestellt, als er wirklich war?
»Ihr habt Euch an einem Selbstporträt versucht? Wie habt Ihr das angefangen? Euch vor einen Spiegel gesetzt?« Der Burgherr lachte rau und tippte sich auf die Narbe. »Sieht das Bild etwa so aus, als hätte ich mich im Spiegel gesehen?«
»Na ja ... ich dachte nur ... Ihr wart sicher jünger, als Ihr das hier geschaffen habt.«
»Ich war fünfzehn, aber selbst damals ähnelte ich nicht den Zügen auf dem Bildnis.«
»Fünfzehn?«, rief Madeline fassungslos. Viele bekannte Londoner Künstler waren gestandene Männer und nicht halb so begabt wie Anatole. »Gütiger Himmel, Ihr wart ja ein richtiges Wunderkind!«
»Nein, ich war ein Narr, weil ich meine Zeit damit vergeudete, mich so zu malen, wie ich niemals sein würde.« Hoffnungslose Sehnsucht lag in seinem Blick. »Der Mann, der seine Frau in der Hochzeitsnacht nicht so sehr in Angst und Schrecken versetzt, dass sie vor ihm in die Bibliothek flüchtet.«
»Ich bin nicht vor Euch geflüchtet. Und eigentlich habe ich auch gar keine Angst vor Euch.«
»Nein?«
»Na ja, nicht viel. Aber ich bin in die Bibliothek gegangen, weil ich etwas nachschlagen wollte.«
»Was denn?«
»Nun, was es mit der Hochzeitsnacht auf sich hat.« Madeline überwand ihren Stolz und gestand nun alles: »Ich habe nämlich keine Ahnung, was von mir erwartet wird.« Als Anatole sie verwirrt ansah, senkte die Braut den Kopf und fuhr leise und schamhaftig fort: »Ich weiß nicht, wie eine Ehe vollzogen wird.«
St. Leger stand da wie vom Donner gerührt. Er öffnete den Mund, schloss ihn wieder und brachte erst dann hervor: »Aber hat Euch Eure Mutter denn nichts erzählt?«
»Mama war immer viel zu beschäftigt damit, ein neues Kleid auszusuchen oder sich auf die nächste Gesellschaft vorzubereiten. Da blieb ihr nicht viel Zeit für Erklärungen.«
»Und Eure Schwestern? Fitzleger hat mir gesagt, beide seien verheiratet. Konntet Ihr Euch denn nicht von denen Rat besorgen?«
»Louisa und Juliette?« Schon die Vorstellung erschreckte sie. »Die beiden sind doch jünger als ich. Sie kamen zu mir, um sich Rat zu holen, und nicht umgekehrt. Ich ... ich konnte doch kaum zu ihnen gehen, und ... und ...«
»Zugeben, dass es da etwas gäbe, von dem Ihr nichts wüss tet?«
»Ja.«
»Und wie, zum Himmeldonnerwetter, habt Ihr Euch dann vorgestellt, wie alles vonstatten gehen sollte?« Madeline sagte sich, dass dies wohl nicht der rechte Zeitpunkt war, ihn daran zu erinnern, wie sie sich ihren Gatten vorgestellt hatte. Als zärtlichen und geduldigen Liebhaber nämlich, der seine Braut behutsam in die Geheimnisse des Ehelebens einführte.
»Ich hoffte, meine Zofe Estelle könne mir vielleicht den einen oder anderen Hinweis geben. Französinnen scheinen so etwas ja schon von Geburt an zu wissen. Doch da sie nicht mehr bei mir ist, blieb mir nichts anderes übrig, als dem Problem hier in der Bibliothek nachzugehen.« Anatoles Blick wanderte über die Regalwände. Er schien seine Büchersammlung mit neuen Augen zu sehen. »Darüber kann man hier etwas finden?«
»Nein, zumindest nichts, was mir spezifisch genug erschien. Bei Chaucer habe ich eine Stelle gefunden, in der er von einem >lustvollen Anfall< spricht, aber das hat mir nicht sehr weitergeholfen.«
»Nein, sicher nicht«, bemerkte er stirnrunzelnd. Madeline hatte sich schon halb darauf gefasst gemacht, dass er über ihr Geständnis lachen oder wieder zornig werden würde. Nie hätte sie jedoch
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