St. Leger 01 - Der Fluch Der Feuerfrau
Peitsche zu schmecken, und ich sperre dich in den Turm, bis du ein alter Greis geworden bist!« Der Burgherr hielt inne. Die Drohungen spiegelten nur seine Verzweiflung wider; denn gleichgültig, was Anatole unternahm, er konnte das Unglück doch nicht verhindern. Sein Zorn verging ebenso rasch, wie er gekommen war, und er ließ den Jungen los. »Tu einfach nur das, was ich dir gesagt habe, einverstanden?«
Will fuhr ängstlich zurück und nickte; dann verschwand er ins Speisezimmer, um dort aufzuräumen. Anatole lehnte sich an den Treppenpfosten und legte völlig erschöpft den Kopf auf den Arm.
Der Burgherr war froh, dass ihn niemand gesehen hatte. Vor allem Madeline nicht. Was er vorhin Fitzleger erklärt hatte, war ihm durchaus ernst gewesen. Madeline sollte vor seinen dunklen Künsten geschützt werden. Aber der Reverend war klug genug gewesen, das zu durchschauen.
Na gut, dann eben die Maske. Ganz ohne Zweifel benötigte er etwas, um sein wahres Ich dahinter zu verbergen; denn die Teufelskräfte machten ihn zu einem Monstrum. Dafür war seine eigene Mutter der beste Beweis. Doch jetzt wollte er nur noch zu seiner Braut. Sein Verlangen nach Madeline war so gewaltig, dass es selbst ihn erschreckte. Dabei ging es ihm gar nicht einmal so sehr um fleischliche Befriedigung, sondern darum, sich in die Klarheit und Vernunft ihrer Augen zu versenken. Ihr rationaler Geist, der weder an Geister noch Familienflüche glaubte, würde ihm eine Zuflucht bieten, in der er sich für eine Weile geborgen fühlen konnte.
Er stürmte die Stufen hinauf, eilte durch die obere Halle und stand endlich vor ihrer Tür. Nur mit Mühe konnte er sich davor bewahren, sie mit Macht aufzustoßen. Mochte der Puls auch rasen, er riss sich zusammen und klopfte an.
Und erhielt keine Antwort.
Anatole klopfte noch einmal, jetzt härter. Schon wieder nichts. Stirnrunzelnd sandte er seinen Geist aus, doch wie auch schon bei früheren Gelegenheiten konnte St. Leger nicht zu Madeline durchdringen.
Nur eine Person spürte er auf: Trigghorne, der am Ende der Halle stand und ihn beobachtete.
»Eure Lady ist nicht da drin!«, rief der Diener. »Ich dachte, das wüsstet Ihr.«
Der Burgherr drehte sich finster zu ihm um. »Was soll das heißen, die Herrin ist nicht in ihrem Zimmer? Wo sollte sie denn sonst stecken?«
Der Alte schlurfte heran und reckte empört die schmale Brust. »Die Lady hat sich dorthin zurückgezogen, wo sie schon den ganzen Nachmittag verbracht hat: in die Bibliothek. Wisst Ihr was, Mylord, Eure Herrin ist ein Bücherwurm! Ich kenne solche Frauen. Man nennt sie Blaustrümpfe, junger Herr, und wenn Ihr diesen Unfug nicht auf der Stelle verbietet, wird sie -«
»Ich brauche keine Ratschläge für meine Gemahlin mehr«, beschied Anatole ihm mit zusammengebissenen Zähnen. Er schob sich an dem Alten vorbei und stürmte dann, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe wieder hinunter.
So lange hatte er gewartet, war auf und ab gelaufen und hatte versucht, seiner Ungeduld Herr zu werden. Und die ganze Zeit über hatte seine Braut nicht auf ihn gewartet, sondern ihre Nase lieber in irgendwelche Bücher gesteckt. Und dafür sollte er sich bei ihr in Sanftheit und Zurückhaltung üben? Von wegen, verdammt noch mal! St. Leger rannte in den hinteren Teil des Hauses, bis er die Tür erreichte. Diese ragte wie ein Wall von bitteren Erinnerungen vor ihm auf. Fast nie betrat er diesen Raum, war ihm die Tür desselben doch viel zu oft vor der Nase zugeschlagen worden.
Nach Mutters Tod hatte der Vater in der Bibliothek sein Re-fugium gefunden. Hier hatte Lyndon St. Leger sich vor der Welt, aber auch vor seinem Sohn versteckt. Den furchtbaren Vorwurf hatte Vater nie ausgesprochen, aber der Junge hatte ihn stets in dessen Augen gelesen:
Wenn du nicht gewesen wärst, wäre deine Mutter noch am Leben.
Lyndon hatte nie gewütet oder gebrüllt, sondern sich einfach aus dem Leben zurückgezogen, sich in seine Bücher vergraben und seinen Sohn ausgesperrt. Anatole ballte die Fäuste. Wie furchtbar es ihn angekommen war, von seinem Vater so behandelt zu werden. Er würde nicht zulassen, dass seine Gemahlin das Gleiche mit ihm anstellte.
8
Die Bibliothek erwies sich als unerwartete Schatzkammer. Regale, die bis unter die Decke reichten, und Bücher, die jedes freie Fleckchen ausfüllten. Zum ersten Mal, seit Madeline nach Castle Leger gelangt war, empfand sie Glück und Freude. Trotz der Spinnweben, der dicken Staubschicht und dem muffigen Geruch
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