St. Leger 01 - Der Fluch Der Feuerfrau
beschert, und Anatole wusste nicht zu sagen, ob sich daraus Fluch oder Segen entwickeln würden. Seine Frau hatte sich im Schlaf frei gestrampelt, lag auf dem Bauch und hielt das Kissen fest. Ihr sanft schimmerndes Haar bedeckte wie ein Vorhang die weißen Schultern. Seine hungrigen Augen konnten gar nicht genug von ihr sehen.
St. Leger hatte um eine ganz normale Frau gebetet, doch das Schicksal hatte ihn verhöhnt und ihm eine Feenkönigin geschickt.
Ja, dachte der Burgherr, genau so hätte er Madeline gemalt. Wenn er nicht schon vor langer Zeit die Malerei als törichte Schwärmerei eines Knaben aufgegeben hätte, die eines erwachsenen Mannes unwürdig war. Anatole lächelte über den unsinnigen Gedanken, sie mit Pinsel und Farbe darstellen zu wollen. Aber er sagte sich, dass er mit seiner Frau vollauf zufrieden sein durfte. Sie besaß nicht die stämmige Figur, die er sich gewünscht hatte, aber trotz ihrer Zierlichkeit hatte sie seinen mächtigen Körper ertragen.
Madeline hatte weder geweint noch gekreischt, sondern allen Mut zusammengenommen und die Ehepflichten tapfer ertragen. Mehr konnte er nicht von seiner Gattin verlangen, oder?
Schließlich hatte er dem Reverend gesagt, er wolle gar
nicht geliebt werden und sei schon zufrieden, wenn seine Frau keine Angst mehr vor ihm hätte. »Und dazu stehe ich immer noch«, schwor Anatole sich. Doch die Worte klangen ihm seltsam hohl, als das Halbdunkel des Morgengrauens sich jenseits des Fensters zeigte. Fünf Uhr.
Was für eine furchtbar einsame Stunde, um herauszufinden, dass man sich selbst etwas vormachte.
9
Der Morgennebel wogte von der See heran und hüllte Castle Leger ein. Anatole ritt sein Pferd über den halb im Dunst verborgenen Klippenweg. Tief unter ihm donnerte die Brandung gegen die Felsen.
Mit eiserner Hand trieb er seinen Hengst weiter voran und verließ sich darauf, dass sein Ross den alt vertrauten, nicht ungefährlichen Pfad kannte. Als Kind hatte St. Leger oft hier draußen gespielt und sich mit eingebildeten Piraten oder Schmugglern herumgeschlagen. Mit einem Dolch zwischen den Zähnen waren die Schurken die Klippen herauf bis zu der Stelle geklettert, wo er sie mit seinem Holzschwert erwartete.
Manchmal hatte er sich auch in den Blumengarten am Rande der Klippen zurückgezogen, sich hinter die Rhododendronbüsche gehockt und mit den Elfen Verstecken gespielt.
Doch als seine Mutter gestorben war, hatte sie die Piratenbanden und das Elfenland für immer mitgenommen und den Jungen der Freude an der wilden Schönheit seines Landes beraubt.
In all den Jahren, seit er Herr von Castle Leger war, hatte er seine Burg nie so fluchtartig verlassen wie heute Morgen. Nur weg von ihr. Seiner Braut. Seiner Feuerfrau. St. Leger zügelte das Pferd und warf einen Blick zurück.
Sein Heim, das er gleichzeitig liebte und hasste, erhob sich in der Ferne. Nur die Türme und Zinnen ragten aus dem Nebel, so als handele es sich bei Castle Leger um die Wolkenburg eines Zauberers.
Er suchte nach dem Fenster, hinter dem sie schlief, während sich das rote Haar auf dem Laken ausbreitete ... Die Erinnerung an ihre Schönheit hätte ihn fast zur Rückkehr getrieben. Wie der Gesang der Sirenen lockte sie ihn in das Schlafgemach zurück ... um seine Braut wach zu küssen, zärtlich in die Arme zu nehmen und ... Und was?, höhnte eine Stimme in ihm. Das Desaster von letzter Nacht wiederholen? Anatole wusste noch immer nicht, wie er die Leidenschaft in ihr erwecken sollte, welche eine St.-Leger-Braut zu verspüren hatte. Der Burgherr fluchte. Anatole wagte nicht, ihr an diesem Morgen zu begegnen, weil er befürchtete, dass sie die Sehnsucht und Zerrissenheit in seinen Augen lesen könnte. Die meiste Zeit seines Lebens war er ohne Liebe ausgekommen. Welcher Wahnsinn trieb ihn nun dazu, sie zu suchen? Er musste raus aus Castle Leger, um sich mit seinen Ängsten und Wünschen auseinander setzen zu können. St. Leger schalt sich einen erbärmlichen Feigling, weil er vor einer zierlichen kleinen Frau floh, trieb sein Ross aber dennoch wieder an. Er wollte nach einer Bedrohung Ausschau halten, mit der er sich viel besser auskannte. Mortmain.
Je näher er der Küste kam, desto hartnäckiger hielt sich der Nebel. Das perfekte Wetter, dachte er grimmig, um ein Phantom zu suchen - eine Frau, die nur das Produkt der überreizten Phantasie oder der altersschwachen Augen dieses Fitzleger sein konnte.
Anatole zügelte wieder sein Pferd und blickte in die Bucht, die sich vor ihm
Weitere Kostenlose Bücher