St. Leger 01 - Der Fluch Der Feuerfrau
erben. Wir beide sind am selben Tag geboren worden. Was bringt Euch auf die Idee, mich überleben zu können?«
»Man wird doch wohl noch hoffen dürfen.« Anatole gewann den Eindruck, dass Roman seinen Tod wünschte, was ihn kaum verwunderte, wünschte er dem Vetter doch das Gleiche. Der Hass zwischen ihnen bestand schon, seit beide noch in der Wiege gelegen hatten. Vielleicht rührte er daher, sagte sich der Burgherr, dass sie sich so verschieden entwickelt hatten. Roman, der elegante Stutzer, gehörte in die Welt der Ballsäle und Gesellschaften, Anatole hingegen war mehr in Ställen, Mooren und auf ödem Land zu Hause.
Möglicherweise lag es aber auch daran, dass Roman zu den wenigen St. Legers gehörte, die über keinerlei besondere Gaben verfügten und auch sonst vom Familienfluch verschont geblieben waren. Anatole beneidete ihn jedenfalls sehr darum.
Er verdrängte die unangenehmen Erinnerungen an früher, als vor ihm alle Türen zugeschlagen worden waren, während sie sich für Roman immer und überall geöffnet hatten.
»Ich enttäusche Euch nur ungern, aber ich habe vor, noch lange zu leben und eine ganze Schar gesunder und kräftiger Knaben zu zeugen.«
»Ohne Zweifel beabsichtigt Ihr das«, bemerkte Roman mit leicht angewiderter Miene, »obwohl ich gestehen muss, dass ich nie für möglich gehalten hätte, dass Ihr eines Tages den Bund fürs Leben schließen würdet.«
»Ihr meint wohl eher, Ihr hättet nie für möglich gehalten, dass eine Lady mich nehmen würde.«
»Nun ja, Vetter, Eure guten Seiten erschließen sich einem nicht auf den ersten Blick. Aber die Familientradition sagt ja, dass auf jeden St. Leger irgendwo eine Gemahlin wartet. Ich darf wohl vermuten, dass Ihr den Brautsucher bemüht habt?«
»Ganz recht.«
Roman verzog den Mund zu einem Grinsen. »Eigentlich hatte ich Euch immer für einen intelligenten Menschen gehalten. Ihr seid doch viel zu gescheit, um Euch von den verschimmelten alten Gruselgeschichten der Familie ins Bockshorn jagen zu lassen. Aber Ihr habt tatsächlich den Fähigkeiten dieses halb erblindeten, alten Trottels vertraut, Euch die Richtige zu finden ...«
»Fitzleger ist mindestens ebenso gut bei Verstand wie Ihr, und auch sein Augenlicht hat ihn noch nicht im Stich gelassen, wenn er seine Brille trägt.«
»Na, da kann ich nur hoffen, dass er sie nicht vergessen hatte, als er Eure Lady suchte. Wo hat der Reverend sie denn gefunden? »In London.«
Roman riss die Augen auf. »Das ist ja heute ein Tag voller Überraschungen! Ich hätte eher erwartet, Eure Braut sei unter den örtlichen Amazonen zu finden. Und wer ist die Glückliche, die Fitzleger für Euch aufgetrieben hat?«
Anatole verspürte keine Lust, ihm alles zu berichten. Aber Roman hätte das leicht auch andernorts herausfinden können.
»Sie heißt Madeline Breton.«
»Etwa eine der Töchter des höchst ehrenwerten Gordon Breton?«
»Ja.«
»Eine gute Familie mit ausgezeichneter Blutlinie. Der alte Herr ist ein Cousin dritten oder vierten Grades des Earl of Croftmore. Doch neigen die Bretons ein wenig zur Verschwendungssucht, und in ihrer Kasse herrscht beständig Ebbe. Ich darf wohl annehmen, dass Eure Braut nicht viel mit in die Ehe gebracht hat, oder?«
»Woher, zum Teufel, wisst Ihr so viel über die Familie meiner Frau?«
»Mein teurer Vetter, im Gegensatz zu Euch habe ich mich nicht mein Leben lang in Cornwall vergraben. Nun, ich habe recht häufig in London zu tun und verkehre dort in der besseren Gesellschaft. Allerdings kann ich mich nicht daran erinnern, Eurer Madeline bei irgendeinem Anlass einmal vorgestellt worden zu sein. Was für ein Geschöpf ist sie denn?«
»Eine Frau.«
»Da wäre ich jetzt wirklich nicht drauf gekommen. Ich meinte, besitzt sie eine vollendete Figur? Charme? Schönheit?«
Ein ungutes Gefühl beschlich Anatole, und er fühlte sich wie ein Geizhals, der von einem Dieb geschickt über sein Vermögen ausgefragt wurde. »Sie hat von allem etwas.«
»Nun, das hört sich aber nicht sehr begeistert an. Was ist nur aus der sagenhaften Leidenschaft der St. Legers geworden? Auch erstaunt mich der Umstand, dass die frisch Angetraute Euch gestattet hat, Euch schon am Tag nach der Hochzeitsnacht von ihr zu entfernen. Wenn man den alten Erzählungen glauben darf, müsste sie Euch doch geradezu anflehen, zu ihr ins Bettchen zurückzukehren.« Anatole dachte an die schlafende Madeline, doch schon schob sich ihre letzte Bemerkung in sein Bewusstsein zurück.
Es war
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