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ST - New Frontier 5: Ort der Stille

ST - New Frontier 5: Ort der Stille

Titel: ST - New Frontier 5: Ort der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter David
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wieder war er von riesenhafter Gestalt. Sein Gesicht erstreckte sich über den gesamten Himmel und grinste auf sie herab. Bei diesen Gelegenheiten fühlte sie sich am hilflosesten. Sie wollte sich gegen ihn zur Wehr setzen, aber sie hatte keine Ahnung, wie sie das anstellen sollte. Sie versuchte innere Kraftreserven anzuzapfen und Tapferkeit und Entschlossenheit aufzubauen und was sonst noch einem jungen Mädchen in einer derartigen Situation von Nutzen sein mochte. Aber es nützte gar nichts. Sie konnte sich nur abwenden und davonlaufen, obwohl es ein Traum war. Ihre schnellen Beine trugen sie über weites Ödland, und wie früher hörte sie die Stimmen, die ihr etwas zuflüsterten, die sie aufforderten, zu ihnen zu kommen, bei ihnen zu bleiben, mit ihnen eins zu werden. Und wie immer waren sie sehr, sehr leise. Mit Ausnahme des Roten Mannes, des meisterhaften Drahtziehers, der alles sah und sich lachend in der Gewissheit seiner Macht sonnte
.
    »Geh weg, geh weg!«, rief sie ihm zu, aber er ließ sie nicht in Frieden. Und einmal, in einem besonders schrecklichen Traum, hatte sein gigantisches Gesicht wieder den gesamten Himmel ausgefüllt, und er hatte mit einer Hand nach ihr gegriffen. Die Hand fuhr herab und schien bereit, sie zu ergreifen, vielleicht, um sie zu zerquetschen oder fortzuschleudern … sie wusste es nicht. Sie wusste nur, dass sie ihm nicht entkommen konnte, und sie hob die Arme schützend vor ihr Gesicht. Sie schluchzte und flehte um Gnade, obwohl es in dieser Welt keine Gnade für sie gab …
    Dann wachte sie auf.
    Instinktiv wollte sie schreien, den Namen ihrer Mutter rufen, aber dank monatelangen Trainings konnte sie diesen Impuls unterdrücken. Sie war geübt darin, den Mund zu halten, denn sie wollte ihre Mutter nicht noch mehr beunruhigen. Infolgedessen hatte sie die Angewohnheit aufgegeben, irgendwo draußen zu schlafen, damit ihre Mutter sie nicht mehr ständig umsorgte und nicht überall nach ihr suchte.
    Andererseits wollte sie ihre Mutter auch nicht aus dem Tiefschlaf wecken, wenn sie schreiend aufwachte. Also hatte sie versucht, einen äußerst schwierigen Kompromiss zu entwickeln und sich antrainiert, jede instinktive Reaktion zu unterbinden, um niemanden zu beunruhigen. Dazu benötigte sie ihre ganze Willenskraft. Nach der Angst und Hilflosigkeit eines Traumes musste sie sich anschließend ganz schnell umorientieren. Nur so konnte sie vermeiden, dass ihre Schreie durch die Nacht hallten.
    In dieser Nacht hatte sie es geschafft, wenn auch nur knapp. Ihr Mund hatte sich bereits geöffnet, aber im letzten Moment hatte sie sich erinnert. Ihre verzweifelte Reaktion ließ nicht lange auf sich warten: Sie biss sich so fest auf die Unterlippe, dass sie blutete. Es fühlte sich an, als würde ihr ganzer Unterkiefer vor Schmerzen taub werden. Aber wenigstens war es ihr gelungen, ihren Drang, der Angst mit einem Schrei Luft zu machen, zu unterdrücken.
    In ihrem Zimmer war es dunkel. Sie setzte sich im Bett auf und wischte sich mit einem Ärmel das Blut vom Kinn. Sie wünschte sich, einen gewissen Triumph oder wenigstens leise Freude zu empfinden, dass sie es geschafft hatte, aber sie verspürte nur Angst. Denn eines Tages würde es ihr nicht mehr gelingen, sich zu beherrschen, und dann würde sie wieder in der Nacht schreien, und ihre Mutter würde bestürzt erkennen, dass die Träume keineswegs aufgehört hatten. Dass sie in Wirklichkeit viel eindringlicher und klarer als je zuvor waren, obwohl diese Klarheit immer noch in vielerlei Hinsicht verwirrend war. Sie hatte ihrer Mutter endlose Qualen ersparen wollen, also hatte sie die Wahrheit verheimlicht. Obwohl sie es zum Wohl ihrer Mutter getan hatte, fühlte sie sich schuldig.
    Sie hörte Schritte vor ihrer Tür, und für eine Schrecksekunde dachte sie, dass sie sich vielleicht doch nicht so gut im Griff hatte, wie sie glaubte. Dass sie vielleicht doch im Schlaf geschrien und unabsichtlich ihre Mutter gerufen hatte. Sie ließ sich aufs Bett zurückfallen und versuchte, einen möglichst entspannten Eindruck zu machen, den Schweiß zu vergessen, der die Bettlaken tränkte und das Nachthemd an ihrem Körper kleben ließ, sodass sie fröstelte. Kurz bevor sich die Tür öffnete, wurde ihr bewusst, dass sie vor Nervosität den Atem angehalten hatte. Also bemühte sie sich, wieder regelmäßig zu atmen, um den Anschein zu erwecken, sie würde entspannt schlafen.
    Das Licht aus dem Korridor fiel auf ihr Gesicht, und selbst mit geschlossenen Augen

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