ST - TOS 101: Feuertaufe: McCoy - Die Herkunft der Schatten
sagte sie, klang jedoch nicht sonderlich überzeugend. »Schlaf einfach.«
»Ich werde nicht einschlafen, bis du mir verrätst, was dich bedrückt«, sagte Phil. Früher am Tag, als sie von der Kirche zurück nach Hause gefahren waren, hatte er bereits bemerkt, dass etwas nicht stimmte. Lynn war ungewöhnlich still gewesen und hatte Phil und Len das Reden überlassen. Doch im Laufe des Tages hatte sie wieder mehr wie sie selbst gewirkt. Beim Zubereiten des Abendessens hatte sie fröhlich mit ihnen geplaudert, und später Len von den Leuten aus Hayden erzählt. Im Verlauf des Gesprächs hatte Len nach Lynns Familie gefragt. Obwohl sie recht bald das Thema gewechselt hatte, war sie zu einer Antwort bereit gewesen und hatte liebevoll von ihren Eltern erzählt. Vielleicht hatte ihre Trauer sie nun wieder eingeholt. Auch wenn ihre Mutter schon sehr lange mit ihrer Krankheit gekämpft hatte, waren seit ihrem Tod erst ein paar Monate vergangen. Phil wusste, dass Lynn jeden Tag darunter litt. Er wusste auch, dass er nichts tun konnte, um ihren Schmerz direkt zu lindern. Aber er konnte einfach für sie da sein und sie daran erinnern, dass das Leben und die Liebe sie nicht verlassen hatten.
Doch Lynn wollte nichts davon wissen. »Es ist alles in Ordnung«, sagte sie, und dieses Mal klang Verärgerung in ihren Worten mit. »Schlaf jetzt.«
»Lynn …«
»Ich will nicht darüber reden«, schnauzte sie. »Ich will an einem Sonntag nicht streiten.«
Plötzlich wurde Phil klar, dass nicht der Verlust ihrer Mutter Lynn bedrückte, sondern dass es etwas war, das er getan hatte. Er drückte sanft ihre Schulter und sagte: »Wir müssen nicht streiten, aber du kannst mir trotzdem erzählen, was los ist.« Lynn erwiderte nichts. »Du solltest es mir wirklich sagen«, meinte Phil. »Ansonsten finden wir heute Nacht nämlich beide keinen Schlaf.«
Endlich reagierte Lynn. Sie drehte sich um und sah ihm direkt ins Gesicht. »Ich werde dir sagen, was los ist!«, fauchte sie. »Ich mag einfach keine Lügen.«
»Lügen?«, fragte Phil verwirrt. »Meinst du mich? Wann habe ich denn gelogen?«
»Ich finde sie besonders an einem Sonntag verwerflich«, fuhr sie fort. »Oder in der Nähe einer Kirche.«
Phil war völlig verwirrt und dachte an den Tag in der Stadt zurück. Sie waren mit dem Laster gefahren und ein paar Minuten vor Beginn des Gottesdienstes eingetroffen. Sie hatten neben Daisy und Woodward Palmer und ihren beiden Söhnen gesessen, jedoch nicht viel mit ihnen gesprochen. Nach der Messe hatten sie Pastor Gallagher gedankt und dann auf dem Weg aus der Kirche mit ein paar Leuten geredet. Zu ihrer Überraschung hatte Len neben dem Laster auf sie gewartet. Phil hatte sich darüber gefreut, da es ihm und Lynn so möglich gewesen war, ihn allen vorzustellen. Auch wenn Len unter seltsamen Umständen nach Hayden gekommen war und seit noch nicht einmal zwei Wochen bei ihnen wohnte, fühlte sich Phil ihm sehr verbunden, fast so, als wäre er ein Verwandter.
»Süße«, sagte er zu Lynn. »Ich bin nicht ganz sicher, wovon du sprichst.«
»Ich spreche von Leonard«, erklärte sie. Sie schob ihr Kissen hoch, setzte sich im Bett auf und verschränkte die Arme vor der Brust. »Du weißt schon«, sagte sie, »dein ‚Cousin‘.«
»Oh«, entfuhr es Phil. Er hob eine Hand an die Stirn, als er endlich begriff, worum es hier ging. »Das.«
»Ja, das«, knurrte Lynn, die stur geradeaus starrte und ihn keines Blickes würdigte.
»Süße«, begann er und streichelte ihren nackten Arm. »Das habe ich für Len getan.« Als Phil und Lynn ihren Hausgast nach dem Gottesdienst vorgestellt hatten, hatte Becky Jensen gefragt, woher sie ihn kannten. Die Frage war unschuldig genug gewesen, doch Phil wusste, dass Becky ebenso wie viele andere Stadtbewohner Fremden nicht traute und sie auch nicht mochte. »Er ist mein Cousin zweiten Grades«, hatte Phil daher geantwortet. »Er stammt aus Atlanta.« Danach hatte er jedem, der eine ähnliche Frage stellte, die gleiche harmlose Schwindelei aufgetischt.
»Mir ist egal, warum du es getan hast«, beharrte Lynn. »Es ist und bleibt eine Lüge.«
»Süße«, sagte Phil, aber Lynn starrte einfach weiter geradeaus. »Du magst Len doch auch, oder?«
»Du weißt, dass ich das tue«, erwiderte sie. »Aber das bedeutet nicht, dass ich für ihn lügen würde.«
»Was hätte ich denn sagen sollen?«, wollte Phil wissen, der selbst langsam wütend wurde. Ja, er hatte gelogen, aber er hatte einen guten Grund dafür
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