Staatsverschuldung
weiterer Erklärungsansatz für die Entstehung übermäßiger Schulden können
politische Prestigeprojekte
sein, welche die herrschende Partei vorantreibt: Projekte mit politischer, emotionaler oder ideologischer Bindung, die eine amtierende Regierung umsetzen möchte. Sind diese Projekte umfangreich, so lassen sie sich nicht aus dem laufenden Steueraufkommen finanzieren, die Regierung muss also Schulden aufnehmen. Vor allem, wenn für die amtierende Regierung die Gefahr besteht, bei den kommenden Wahlen abgewählt zu werden, ist der Anreiz groß, zuvor rasch noch solche Projekte anzustoßen. Das hat für die abgehende Regierung sogar zwei Vorteile. Erstens sind angestoßene Großprojekte nur schwer von der Nachfolgeregierung zu stoppen, die abgehende Regierung kann damit ihre politischen Vorlieben in Zement gießen und die Nachfolger daran binden. Zweitens beschränkt sie durch eine übermäßige Aufnahme von Schulden für solche Projekte den Handlungsspielraum der Nachfolgeregierung und reduziert dadurch deren Möglichkeiten, Mittel für eigene politische Zwecke auszugeben. Das Ergebnis ist eine übermäßige Schuldenaufnahme zur Finanzierung politisch motivierter Projekte, die nicht immer ökonomisch sinnvoll sind. Als Beispiel für solche politisch motivierten Investitionen wird die als
Betuwelijn
bezeichnete Bahnstrecke vom Hafen Rotterdam nach Deutschland angeführt: Unabhängige Studien zeigten, dass diese Strecke wohl nie rentabel sein wird, doch die amtierende Regierung gab dem Drängenvon Lobby-Gruppen, vor allem des Rotterdamer Hafens, nach[ 19 ].
Unklar ist der Einfluss von
Regierungskoalitionen
auf die Entwicklung der Staatsverschuldung. So kann eine Koalitionsregierung die Schuldensituation eines Landes leichter stabilisieren und unangenehme Budgetkürzungen durchsetzen als eine allein herrschende Partei, weil sie in der Regel eine breitere parlamentarische Mehrheit hat und die Wähler die Schuld für die unangenehmen Kürzungen nicht ausschließlich einer Partei geben. Aus dieser Perspektive wäre zu erwarten, dass Koalitionsregierungen dem Schuldenabbau eher förderlich sind und Ein-Parteien-Regierungen eine geringere Bereitschaft aufweisen, Ausgaben zu kürzen, weil ihnen die alleinige Verantwortung zugesprochen wird. Andererseits gibt es auch Gründe dafür zu vermuten, dass bei Koalitionsregierungen die Schulden zunehmen, weil jede Partei die Forderungen ihrer Wähler erfüllen will: im Ergebnis nimmt die Koalitionsregierung mehr Schulden auf bzw. tut sich mit Budgetkürzungen schwerer als die Ein-Parteien-Regierung, um den Wünschen aller beteiligten Koalitionsparteien nachzukommen. Empirisch wurden diese Überlegungen beispielsweise für die Finanzpolitik Österreichs von 1960 bis 1999 untersucht; hier ergaben sich schwache Hinweise dafür, dass Koalitionsregierungen erfolgreicher bei der Reduktion von Schulden waren[ 20 ].
Auch die föderale Struktur eines Landes kann zu einer Zunahme der Verschuldung führen, vor allem auf den untergeordneten Ebenen. Wenn die in einem Bundesstaat untergeordneten Ebenen damit rechnen können, im Fall einer Überschuldung von den übergeordneten Ebenen Hilfen zu erhalten, haben sie Anreize, sich zu hoch zu verschulden und im Insolvenzfall auf diese Hilfe zurückzugreifen. Die Hilfe übergeordneter Instanzen wird in der Literatur
Bailout
genannt. Bereits die Erwartung (und erst recht die Garantie) eines solchen Bailouts kann zu einem nachlässigen Umgang mit Verschuldung führen. Als ein (Negativ-) Beispiel für ein solches Bailout gilt ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1992, in dem das Gericht den Bund und die anderen Bundesländer dazu verpflichtete, Bremen unddem Saarland finanzielle Hilfe zu leisten, da diese angesichts ihres hohen Schuldenberges unter einer «extremen Haushaltsnotlage» litten. De facto zahlten damit der Bund und die anderen Länder für die Schulden von Bremen und des Saarlands. Allerdings hat das Gericht seine Sichtweise im Berlin-Urteil aus dem Jahr 2006 beträchtlich modifiziert und dem Land Berlin keinen Anspruch auf Hilfe durch die Föderalgemeinschaft zugesprochen. Eine empirische Studie zur Verschuldung Schweizer Kantone für die Jahre von 1984 bis 2000 kam zu dem Ergebnis, dass dort ein eher dämpfender Effekt des Föderalismus auf die kantonale Verschuldung vorherrschte[ 21 ]. Ob dieses Ergebnis auch auf die deutschen Verhältnisse übertragbar ist, kann nicht ohne Weiteres gesagt werden. In Kapitel V kommen
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