Staatsverschuldung
aufgenommenen Krediten noch die Zinsen hinzu. Wenn die Bürger eines Landes dies erkennen, so werden sie bei steigender Staatsverschuldung voraussehen, dass der Staat später die Steuern erhöhen muss. Daher werden sie auf die Erhöhung der Staatsverschuldung mit Konsumverzicht und erhöhter Ersparnisbildung reagieren, um die spätere Steuerlast aus ihren Ersparnissen zahlen zu können. Staatsverschuldung wirkt nach dieser Theorie auf den Konsum der Bürger genauso wie eine sofortige Steuer. Finanziert der Staat seine Ausgaben mittels Schulden statt über neue Steuern, so verschiebt dies lediglich die Steuererhebung von der Gegenwart in die Zukunft, hat nach Ricardo aber keinen Einfluss auf (ist «äquivalent» für) das Lebenseinkommen und das Konsumverhalten eines Haushalts.
So betrachtet ist eine Erhöhung der Staatsverschuldung also identisch mit einer Steuererhöhung, Steuern und Staatsverschuldung unterscheiden sich nur in der Form, nicht aber in ihren ökonomischen Konsequenzen. In unserer Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung würde das bedeuten, dass der Budgetsaldo negativ wird (die Staatsverschuldung nimmt zu), aber gleichzeitigdie Ersparnisse der Privaten soweit ansteigen, dass die Investitionen unverändert bleiben. Ob der Staat seine Ausgaben über Steuern oder aber über Schulden finanziert, macht in diesem Fall keinen Unterschied. Wenn die Ricardianische Äquivalenz gilt, dann funktioniert eine keynesianische Belebung der Nachfrage durch kreditfinanzierte Konjunkturprogramme nicht: Sobald die Bürger erkennen, dass der Staat seine Schulden erhöht, um die Nachfrage zu beleben, wissen sie, dass er danach die Steuern erhöhen wird, um diese Schulden wieder zurückzuzahlen. Also werden sie ihre Konsumnachfrage in Erwartung der höheren Steuern reduzieren – der wachstumswirksame Effekt der staatlichen kreditfinanzierten Konjunkturprogramme wird umgehend durch den sinkenden Konsum der Bürger konterkariert und aufgehoben. Entsprechend dieser Überlegung sind viele Ökonomen der Ansicht, dass vorhersehbare oder erwartete staatliche Konjunkturprogramme zumeist unwirksam sind.
Sowohl in der Theorie als auch in der Empirie besteht allerdings große Uneinigkeit über die Gültigkeit der Ricardianischen Äquivalenz. Insgesamt ergibt sich, dass sich empirisch keine eindeutige Schlussfolgerung ziehen lässt [ 33 , 34 ]. Ein wichtiger theoretischer Einwand gegen die Gültigkeit der Ricardianischen Äquivalenz ist das Argument des Zeithorizonts: Wenn die Rückzahlung der Schulden länger auf sich warten lässt als die aktuelle Generation von Bürgern lebt, dann muss diese nicht sparen. Die Aufgabe der Rückzahlung der Schulden fällt dann der nächsten Generation zu. In diesem Fall unterscheiden sich die Wirkungen der Staatsverschuldung deutlich von denen einer Steuer. Allerdings wird das Argument schwächer, wenn die aktuelle Generation sich Gedanken um die nächste Generation – ihre Kinder – macht. Wenn sie ihren Kindern keine Schuldenberge hinterlassen möchte, so wird sie sparen und der nächsten Generation diese Ersparnisse vererben, damit ihre Kinder mit diesem Erbe die ausstehende Staatsschuld begleichen können. Über die intergenerationale Solidarität würde die Ricardianische Äquivalenz dann wiederhergestellt.
Insgesamt gehen wir davon aus, dass die Ricardianische Äquivalenz nicht in Reinform gilt – sonst könnten wir das Kapitel«Staatsverschuldung und Wachstum» an dieser Stelle beenden und auf die Steuerdiskussion zurückgreifen. Dann gälte für neue Schulden der gleiche, für höhere Steuern allgemein akzeptierte Grundsatz, dass sie dem Wirtschaftswachstum in der Regel nicht zuträglich sind.
Gilt aber die Ricardianische Äquivalenz nicht in Reinform, so hat Staatsverschuldung Folgen, die sich von denjenigen einer Steuererhöhung unterscheiden. Erhöht der Staat in diesem Fall seine Neuverschuldung (der Budgetsaldo wird negativ), so wird in unserer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung die Ersparnis der Privaten nicht im gleichen Umfang zunehmen. Damit der gestiegene Zugriff des Staates auf die Ressourcen der Volkswirtschaft befriedigt werden kann (die Gleichung wieder stimmt), müssen dann entweder die privaten Investitionen zurückgehen oder aber der Außenhandelssaldo muss negativ werden. Private Investitionen werden dann also durch Staatsausgaben ersetzt, oder aber es müssen mehr Ressourcen und damit Kapital aus dem Ausland importiert werden (der Außenhandelssaldo sinkt).
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