Staatsverschuldung
Falle steigender Staatsverschuldung die privaten Investitionen, so ergeben sich aus der Staatsverschuldung negative Auswirkungen auf das zukünftige Wachstum einer Volkswirtschaft: Private Investitionen bilden den Kapitalstock eines Landes, der über dessen Produktivität mitentscheidet. Die Verdrängung privater Investitionen durch staatliche Verschuldung bezeichnet man als
Crowding-out
privater Investitionen. Das geschieht so: Der Staat erhöht mit seiner Verschuldung seine Nachfrage nach Krediten auf dem Kapitalmarkt. Wenn das Kapitalangebot dort unveränderlich bleibt (die Ersparnisse steigen nicht), führt dies zu einem Anstieg der Kapitalmarktzinsen: der Zins als Preis für Kredite steigt wegen der zusätzlichen Nachfrage nach Krediten durch den Staat. Aufgrund des höheren Zinssatzes sinkt nun das Volumen an privaten Krediten: die preissensiblen privaten Investitionen gehen zurück, werden also von der staatlichen Kreditnachfrage verdrängt. Je sensibler die privaten Investitionen dabei auf steigende Zinsen reagieren, desto höher ist deren
Crowding-out
durch den Staat.
Empirische Studien bestätigen den Zusammenhang zwischeneiner Zunahme der staatlichen Neuverschuldung und einem steigenden Zinsniveau. Allerdings variieren die Ergebnisse hinsichtlich seiner Stärke: Für die Vereinigten Staaten haben Studien ermittelt, dass das Zinsniveau in der Größenordnung von 0,2 bis 0,4 Prozentpunkten ansteigt, wenn die staatliche Defizitquote um einen Prozentpunkt wächst. Manche Untersuchungen kommen sogar zum Ergebnis, dass ein solcher Anstieg der Defizitquote zu einem Zinsanstieg von 0,5 bis zu einem Prozentpunkt führt. Für Europa scheinen diese Effekte geringer auszufallen, ein Anstieg der Defizitquote um einen Prozentpunkt bewirkt hier eine Erhöhung der Zinssätze auf staatliche Wertpapiere um weniger als 0,1 Prozentpunkte[ 35 ].
Eine Untersuchung des Zusammenhangs zwischen dem Anstieg der Staatsverschuldung und dem Zinsniveau für 19 OECD-Länder einschließlich Deutschland beziffert den Anstieg der realen langfristigen Zinssätze auf nur etwa 0,02 bis 0,05 Prozentpunkte, wenn die Schuldenstandsquote um einen Prozentpunkt zunimmt. Allerdings zeigt die Untersuchung auch, dass man die langfristigen Folgen der Staatsverschuldung nicht unterschätzen darf, vor allem, wenn man die Verwendungsseite der Verschuldung betrachtet: Steigt der Anteil des Staatskonsums am Sozialprodukt um einen Prozentpunkt, so steigen die langfristigen Zinsen um 0,2 bis 0,25 Prozentpunkte[ 36 ].
Eine andere Studie zu den langfristigen Folgen steigender Staatsschulden in 16 OECD-Ländern zeigt zudem, dass ein Anstieg des Primärdefizits um einen Prozentpunkt, das kurzfristig zu einem Anstieg des Zinsniveaus um 0,1 Prozentpunkte führt, sich über einen Zeitraum von zehn Jahren zu einem Anstieg der langfristigen Zinsen in Höhe von 1,5 Prozentpunkten kumulieren kann. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass die Wirkung steigender Staatsverschuldung auf das Zinsniveau eine dynamische, selbstverstärkende Tendenz hat: Der Zusammenhang zwischen Schulden und Zinsen ist ausgeprägter für Staaten mit überdurchschnittlich hoher Verschuldung[ 37 ].
Man muss davon ausgehen, dass Staatsverschuldung auf längere Frist private Investitionen verdrängt, vor allem in Staaten mit hohem Schuldenstand. Die Folgen für das Wachstum einerVolkswirtschaft hängen aber auch von der Art der Mittelverwendung durch den Staat ab. Was macht der Staat mit den Ressourcen, die er im Zuge der Verschuldung dem privaten Sektor entzieht? Verwendet der Staat die Mittel für Investitionen, die ebenso produktiv sind wie private Investitionen, die er verdrängt hat, dann bleibt das Wachstum der betreffenden Volkswirtschaft unverändert – rentable private Investitionen werden durch gesamtwirtschaftlich ebenso rentable staatliche Investitionen ersetzt. Im besten Fall kann Staatsverschuldung sogar wachstumsfördernd sein, wenn die staatlichen Investitionen rentabler sind als die verdrängten privaten Investitionen. Das könnte beispielsweise bei bestimmten Investitionen in die Infrastruktur der Fall sein.
Sind die staatlichen Investitionen allerdings weniger produktiv als die verdrängten privaten, dann erweist sich Staatsverschuldung als wachstumshemmend. Die unterschiedlichen Anreize, denen Privatinvestoren und staatlich Bedienstete ausgesetzt sind, sprechen zumindest theoretisch nicht dafür, dass die Mittelverwendung im staatlichen Sektor effizienter und sorgfältiger
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