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Stachel der Erinnerung

Stachel der Erinnerung

Titel: Stachel der Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Henz
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vergessen. Mich von einer Illusion täuschen lassen. Ihre Reaktion hätte mir damals schon zu denken geben müssen, aber nach dem heutigen Tag bin ich mir sicher, dass zwischen Serre und Meldis nie etwas sein wird. Genauso wenig wie zwischen Nick und Meldis.“
    Sie verdaute seine Worte. Astrid musste wohl seine Frau gewesen sein. „Du hast sie sehr geliebt.“
    Er sagte nichts, nahm aber seine Hand weg, und das warme, behagliche Gefühl verflüchtigte sich augenblicklich. Tessa rief sich zur Ordnung. Sie hatte mit ihm geschlafen, das konnte man eventuell durchgehen lassen. Aber sie würde nicht anfangen, in ihre alten Fehler zu verfallen und etwas in die Situation hineinzuinterpretieren, das nicht vorhanden war. Sie sollte endlich geheilt sein.
    Seine Stimme riss sie aus ihren Gedanken. „Warum hast du mich vorhin geküsst?“
    „Weil ich es wollte. Weil ich wollte, dass du weißt, dass ich in diesem Moment wusste, was ich tat.“
    „Und was genau war das?“
    Sie sah ihn an. „Nick, darüber zu sprechen ist keine gute Idee. Berit hat dir doch sicher von meinen Problemen erzählt. Also belassen wir es dabei.“
    „Berit ist eine bessere Freundin, als du denkst. Sie hat keine vertraulichen Dinge über dich ausgeplaudert. Sie hat mir auch nicht gesagt, warum du dich umbringen wolltest. Ich habe die Narben gesehen“, fügte er hinzu.
    Tessa schloss die Augen. Außer mit Berit und mit ihrer Therapeutin hatte sie mit niemandem je darüber gesprochen. Es jetzt zu tun, kostete zwar Überwindung, war aber nicht völlig unmöglich, wie sie überrascht feststellte. Lag das womöglich daran, weil sie sich hinter Alvas Körper verstecken und so eine unsichtbare Distanz schaffen konnte? Als erzähle sie von einer Fremden?
    Sie atmete tief durch und suchte nach einem passenden Beginn. „Meine Therapeutin ist der Ansicht, dass ich unter einer Neurose leide, deren Wurzeln in meiner Kindheit und Jugend liegen. Ich habe nie die Aufmerksamkeit und Zuwendung bekommen, die mir zustand – sagt sie. Ganz fatal wirkte sich der Tod meiner Schwester aus, für den ich mich verantwortlich fühlte. Ich gab meine eigenen Zukunftspläne zugunsten eines Studiums auf, das mich nicht einmal im Ansatz interessierte – um meinem Vater die verlorene Tochter zu ersetzen. Aber natürlich funktionierte das nicht. Und deshalb war ich gezwungen, mir Liebe und Zuwendung von anderen zu holen. Von anderen Männern. In jedem Mann, der ein nettes Wort mit mir wechselte, sah ich einen potenziellen Lebenspartner und ich zögerte nicht, alle meine Vorzüge innerhalb der ersten Stunden eines Rendezvous zu präsentieren. Unnötig zu sagen, dass es selten zu einem zweiten Treffen kam.“ Sie machte eine Pause. Darüber zu sprechen, ihre Gefühle zu analysieren, um Abstand zu gewinnen, half ihr zwar in der aktuellen Situation, aber gleichzeitig blieb ein leiser Schmerz zurück.
    Er hatte den Kopf wieder in die aufgestützte Hand gelegt und sah sie unverwandt an. „Was hättest du tun wollen, wenn deine Schwester nicht verunglückt wäre? Welche Pläne hattest du denn?“
    Tessa zögerte. Diesen Teil von sich preiszugeben, war schwieriger, kostete sie noch mehr Überwindung, denn sie kannte die Reaktionen darauf. Nur Sanne hatte sie immer ermutigt.
    „Ich wollte Kindergärtnerin werden.“ Langsam sprach sie weiter. „Aber im Grunde wollte ich immer nur eines – heiraten und Kinder kriegen.“ Das war ihr großer, unerreichbarer Traum gewesen. Eine Familie, eine eigene Familie, für die sie sorgen konnte. Eine Familie, der sie all ihre Liebe geben konnte. Sie hatte die Geringschätzung nie verstanden, mit der über Mutterschaft und Ehe gesprochen wurde. Aber sie hatte begriffen, dass niemand hören wollte, dass sie lieber in der Küche stand oder Babys wickelte, als eine berufliche Karriere zu verfolgen. Deshalb hatte sie aufgehört, darüber zu reden. Außerdem hatte sie auch genug von den mitleidigen Blicken, denn diesen Traum konnte sie nicht alleine verwirklichen. So sehr sie es auch versuchte. Ein Name tauchte tief aus ihrer Erinnerung auf. „Frank schaffte es tatsächlich, vier Monate mit mir zusammenzuleben, ehe ich ihn mit meinem Klammerverhalten vertrieb. Ich hätte ihn überfordert, mit zweiundzwanzig fühlte er sich für eine Bindung und Kinder noch zu jung. Ich war traurig, ich verstand es nicht, aber ich machte unverdrossen weiter. Ausgerechnet an meinem vierundzwanzigsten Geburtstag verließ mich der Mann, mit dem ich sechs Wochen zusammen

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