Stachel der Erinnerung
war und von dem ich wirklich überzeugt war, dass er der Richtige war. Dazu kam ein Streit mit meinem Vater. Ich schnitt mir die Pulsadern auf. Wenn Berit nicht auf einen Überraschungsbesuch vorbeigekommen wäre, dann läge ich jetzt fünf Meter unter der Erde. Noch im Krankenhaus besuchte mich eine Psychologin. Mit ihr begann ich eine Therapie. Es wurde besser, aber ganz komme ich von meinen zwanghaften Hoffnungen nicht los. Hendrik ist das beste Beispiel für meine Märchenprinz-Neurose.“
„Für was?“
„Von jedem Mann, der mich freundlich anschaut, mir ein Lächeln schenkt, verspreche ich mir eine lebenslange Partnerschaft, ewige Harmonie und ein halbes Dutzend Kinder. Und natürlich ist ein Scheitern vorprogrammiert. Dann liege ich wieder bei meiner Therapeutin auf der Couch und sie versucht mir beizubringen, wie ich es schaffe, endlich der Realität ins Auge zu sehen. Das funktioniert dann wieder eine Weile, ein paar lächelnde Männer stecke ich weg wie nichts, aber irgendwann stolpere ich wieder in die Zwangsvorstellung von Liebe, Wonne, Waschtrog.“
„Also Hendrik war der Glückliche, den ich im Torget Sjøhus vertreten durfte“, stellte er als logische Schlussfolgerung fest.
Tessa lehnte sich an die Rückwand des Bettes und nahm das Laken. „Berit hatte für mich eine Szene inszeniert, um mich von ihm zu kurieren. Im Nachhinein völlig offensichtlich. Aber im Moment selbst durchschaute ich es nicht. Ich bekam eine Panikattacke – auch eines meiner Probleme seit Sannes Tod – und klinkte völlig aus.“ Sie sah ihn an und spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. „Als ich begriff, was wir taten, war es auch schon vorbei.“
„Das heißt, ich gehöre nicht in dein Schema?“
„Du warst ja nicht gerade freundlich zu mir.“
„Ich bin zu niemandem freundlich.“ Er zuckte die Schultern, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. „Also muss ich mir auch nach unserem leidenschaftlichen Intermezzo von vorhin keine Sorgen machen, dass du das als Aufforderung siehst, mich beziehungsmäßig zu erdrücken?“ Seine Augen funkelten belustigt und seine Hand strich wie nebensächlich über den Schwung ihrer Hüfte.
Tessa seufzte. Wieder jemand, der überhaupt nicht verstand, wovon sie sprach. Sie hätte ihre Geschichte genauso gut auf Suaheli erzählen können. „Das ist nicht lustig, Nick, fordere dein Schicksal nicht heraus. Du willst nicht wirklich wissen, wie es ist, wenn ich mich an einen Mann klammere.“
„Ach, ich könnte mir Schlimmeres vorstellen.“ Er zwinkerte ihr zu. „Machen wir doch die Probe aufs Exempel. Die Nacht ist noch jung.“
Tessa musterte ihn abschätzend. Sollte sie sich darauf einlassen? Vielleicht war er ja wirklich das Heilmittel, das sie brauchte, um von ihrer Neurose loszukommen. Sie hatte an ihn noch kein einziges Mal als den Vater ihrer zukünftigen Kinder gedacht. Weder in der Gegenwart, noch in diesem Zeitalter. Meldis’ ständige Jammerei brachte sie zwangsläufig dazu, ihn mit größerer Aufmerksamkeit zu betrachten. Seit sie hier waren, hatte er sich in ihren Augen sehr zu seinem Vorteil verändert und wenn sie ehrlich zu sich selbst war, dann musste sie zugeben, dass sie angefangen hatte, ihn zu mögen. Nicht wie den heiß ersehnten Lebenspartner, mit dem sie ein Happy End in weißem Kleid mit Schleier vor einem kitschigen Sonnenuntergang erleben würde, sondern wie einen guten Freund. Einen guten Freund, der durchaus über eine gewisse sexuelle Attraktivität verfügte. Die Erinnerung daran, wie erfreulich ihr Zusammensein gewesen war, brannte noch in jeder Zelle ihres Körpers.
Sie setzte sich auf und strich mit den Fingerspitzen auffordernd über seine Brust. „Volles Risiko?“, fragte sie und sah ihn durch ihre Wimpern hindurch an.
„Volles Risiko.“ Er legte die Hand um ihren Nacken und zog sie zu sich. Wieder küsste er sie mit diesem tiefen, allumfassenden Hunger, der ihre Knochen schmelzen ließ und jeden Nerv ihres Körpers in Schwingung versetzte.
Sie lag auf ihm, spürte seinen harten Körper unter sich und seine Hände, die sanft über ihren Rücken strichen, bis sie ihr Hinterteil erreichten und sich in ihr Fleisch gruben. Dabei presste er sie fester an sich, rieb seine Erektion an ihrem Unterleib und die ganze Zeit über hörte er nicht auf, sie zu küssen.
Als er endlich ihren Mund frei gab, schwankte ihre Umgebung verdächtig und sie hatte Mühe, sich zurechtzufinden. Er rollte sich mit ihr auf die Seite und schob
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